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Angelika Jo

Die Currywurst wird aufgeschnitten

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PS: Den Gedanken mit der grundsätzlichen Unzuverlässigkeit des Erzählers finde ich sehr bestechend. Jemand erzählt eine Geschichte nach, die jemand anderes erzählt hat. Das ist ja wie stille Post, der Wahrheitsgehalt wird immer unwahrscheinlicher. Zumal in beiden Fällen das Erzählen eine mit viel Aufwand betriebene Inszenierung ist, die dem Zuhörer bzw. Leser imponieren soll.

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Wenn ich meine Leseeindrücke resümiere' date=' kann ich tatsächlich sagen, dass mich der Erzählstrang um die Entdeckung der Currywurst eigentlich viel weniger interessiert, als alles andere, und je weiter die Geschichte voranschreitet, desto weniger interessiert mich dieser Baustein des Buches. Vermutlich deshalb, weil sie von Beginn an wie ein "joke" angelegt ist, wie eine humoristische Arabeske - klar ist doch früh, dass wir das, was uns da als Erfindung aufgetischt wird, nicht wirklich ernst nehmen können und auch müssen...[/quote']

 

Genau. Darin liegt die Ironie. Der Erzählanlass oder -anstoß ist dem, was dann erzählt wird, eigentlich gar nicht gewachsen. Man könnte so was eine negative Fallhöhe nennen, wenn es so was gibt.

 

Das Kernthema bleibt für mich' date=' Lenas Lüge oder auch Inszenierung, der Krieg dauert noch an.[/quote']

 

Uwe Timm bedient sich hier der griechischen Mythologie und verweist am Ende auch mehr oder weniger explizit darauf. Im Kreuzworträtsel steht "Kalypso". (Übrigens auch "Homer", dtv 72) Kalypso ist eine Nymphe und Tochter des Atlas (!) und hält Odysseus sieben Jahre bei sich fest. Das nur um Rande, um zu zeigen, wie fein Uwe Timm seinen Teppich "gestrickt" hat.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Ab jetzt werde ich es mir leicht machen und einfach immer zu juebs Beiträgen nicken. Vor allem dies trifft es für mich genau:

 

Das Kernthema bleibt für mich' date=' Lenas Lüge oder auch Inszenierung, der Krieg dauert noch an. Und dieses Paradoxon ist herzzerreißend. Weil Lena nämlich damit ihre Liebe im selben Maße möglich macht - Liebe braucht Zeit, um wachsen und sich entfalten zu können - wie auch unmöglich: dem geliebten Menschen das Kriegsende vorzuenthalten ist so unverzeihlich, dass damit quasi auch das Liebesverhältnis keine Zukunft mehr hat - wenn es denn überhaupt je eine gehabt hat.[/quote']

 

Die Geschichte rund um die Currywurst tritt für mich dagegen auch in den Hintergrund. Trotzdem gehört sie natürlich unbedingt dazu und trägt stark zu dem Gesamtbild des Textes bei. Abgesehen davon, dass sie Unterhaltsames und Humorvolles beisteuert, hat sie für mein Gefühl auch die Funktion, "den Ball flach zu halten". Sie signalisiert, dass wir es mit kleinen Leuten zu tun haben, mit Begebenheiten, die sich auf den Lauf der Welt im Großen nicht auswirken werden. Für mich transportiert sie eine gewisse Harmlosigkeit, um nicht zu sagen: Gemütlichkeit.  Und das ist eine Seite der Currywurst, die mir bei aller Bewunderung für das Können des Autors und bei aller Freude am Lesen nicht so ganz hundertprozentig schmeckt.

 

Aber dieser letzte Punkt ist natürlich ein subjektiver Eindruck, und ich habe auch noch nicht versucht, ihn an Details festzumachen. Also widersprecht mir!

 

Herzliche Grüße

 

Barbara

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PS: Mit Andreas überschnitten.

Danke für den Hinweis auf Kalypso, lieber Andreas!

Man muss gar nicht selbst belesen sein, es genügt, wenn man belesene Freunde hat ...

 

Barbara

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Ab jetzt werde ich es mir leicht machen und einfach immer zu juebs Beiträgen nicken.

Herzliche Grüße

 

Barbara

 

 

... pass bloß auf, was ich noch alles so schreibe :-)

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

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Meines Erachtens wird die „unerhörte Begebenheit“ (nicht unüblich für Novellen) bereits im Titel benannt. Es ist: „Die Entdeckung der Currywurst“.

 

Ja, ja, ja - das bestärkt mich jetzt durchaus, lieber Andreas (und wirst du wohl aufhören, mir die Pointen wezuschnappen: Das mit dem "auch wenn es mir niemand glauben wird" am Schluss wollte ICH sagen!  :s02). Auch was andere - jueb und Claudia und Barbara - vermeldeten: Die richtige, schöne, spannende Geschichte ist natürlich die von Lena und Bremer, aber es braucht die Currywurst dafür, damit sie sich so richtig aufblättert, bestärkt mich in dem sturen Standpunkt: Unerhört ist, dass einer eine NOVELLE über eine WURST schreibt.

 

Deshalb finde ich auch die von dir monierte "Gemütlichkeit" nicht, Barbara. Guck dir nochmal die Seiten am Ende an, als Frau Brücker dem Erzähler von den ersten Jahren, von 68, von Mac Donalds erzählt, wie der Erzähler dann anfängt, die Currywurst unter den Aspekten von "Gebrauchswert und Tauschwert" mit der Zigarettenwährung zu verbinden und dann sogar noch einmal ganz kurz seinen Vater ins Spiel bringt - mit einer gewissen autobiographisch gemeinten Bitterkeit (KiWi p. 189 ff).

 

Die Currywurst braucht es für die "negative Fallhöhe", wie Andreas so treffend schreibt.

Sie ist außerdem und darin eine Metapher für so was wie: Ich bin mir als Literat gar nicht zu schade, um eine herzerfrischend komische Geschichte zu schreiben.

Und sie ist das Bindeglied wieder zur Literatur - so verstehe ich jedenfalls das dauernde Spiel mit "ganz realistisch, alles echt" und dann doch wieder "unzuverlässig, erfunden, Mythos". In der Kunst liegt - obwohl nein, da halte ich jetzt erst noch mal die Klappe und will zuerst von euch hören:

 

Was denkt ihr, warum heißt es ENTDECKUNG der Currywurst? Ist sie ein Kontinent? Müsste es nicht Erfindung heißen?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Einspruch, Euer Ehren! Ich finde es nicht so besonders kühn oder revolutionär oder gar avantgardistisch, wenn ein Literat in unserer Zeit in einer Novelle unter anderem auch über die Currywurst schreibt.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Hab ich kühn gesagt, carissimo? Oder gar avantgardistisch? Das ist es ja - die Currywurst (jetzt mein ich die Novelle) ist so NORMAL! Kunstvoll, aber unprätentiös.

 

Angelika (von avantgardistischen, revolutionären, Ohren abschneidenden Superkünstlern durchaus nicht so zu faszinieren)

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Sie [die Currywurst] signalisiert' date=' dass wir es mit kleinen Leuten zu tun haben, mit Begebenheiten, die sich auf den Lauf der Welt im Großen nicht auswirken werden. Für mich transportiert sie eine gewisse Harmlosigkeit, um nicht zu sagen: Gemütlichkeit.  Und das ist eine Seite der Currywurst, die mir bei aller Bewunderung für das Können des Autors und bei aller Freude am Lesen nicht so ganz hundertprozentig schmeckt.[/quote']

 

Dazu muss ich jetzt doch noch kurz was sagen, liebe Barbara. Dieses dein Missbehagen zeigt mir, dass hier ein sehr intelligentes Buch auf eine nicht weniger intelligente Leserin mit einem guten Empfinden getroffen ist. Ich behaupte mal frech: Genau dieses Missbehagen wollte Uwe Timm erzielen. Der Erzähler könnte viel erfahren über den Krieg, die Liebe usw., aber ihm geht es vor allem um die Wurst. Alles, was er an Geschichte erfährt und berichtet, wird so zur reinen Vorgeschichte der Wurst-Entdeckung degradiert. Hier wird es meines Erachtens sogar politisch. Das Buch ist 1993 erschienen, wenige Jahre nach der Wiedervereinigung, mit der für viele Historiker die Nachkriegszeit eigentlich erst endet.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Unerhört ist' date=' dass einer eine NOVELLE über eine WURST schreibt.[/quote']

So ganz mag ich dir da nicht recht geben, liebe Angelika. Ich finde es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass ein literarisch schreibender Mensch sich ein Thema wie die Currywurst vornimmt. Die Art von literarischer Überheblichkeit, die das verhindern würde, kommt mir überholt vor. Heutzutage ist alles hoffähig, glaube ich. Auch die Currywurst.

 

Nebenbei hätte ich die Novelle als Gattung auch nicht automatisch dem unterhaltungsfeindlichen Teil der deutschen Literatur zugeschlagen (falls es den überhaupt gibt, aber das ist ein anderes Thema). Der schon genannte "Schimmelreiter" ist doch nicht nur gute Literatur, sondern auch eine erstklassige Schauergeschichte. Von den Geschichten im Decamerone mal ganz zu schweigen.

 

Ich behaupte mal frech: Genau dieses Missbehagen wollte Uwe Timm erzielen. Der Erzähler könnte viel erfahren über den Krieg, die Liebe usw., aber ihm geht es vor allem um die Wurst. Alles, was er an Geschichte erfährt und berichtet, wird so zur reinen Vorgeschichte der Wurst-Entdeckung degradiert. Hier wird es meines Erachtens sogar politisch.

Hmmm. Ich finde den Gedanken interessant, lieber Andreas, aber das schafft für mich das Missbehagen nicht aus der Welt. Die "Gemütlichkeit" entsteht meinem Eindruck nach nämlich nicht so sehr durch das Was dieser Novelle - da kommen natürlich viele höchst ungemütliche Dinge vor. Frau Brückers Leben wird keineswegs als Idylle hingestellt, da hast du völlig recht, Angelika. Darauf wollte ich aber auch nicht hinaus. Wie gesagt, für mich signalisiert die Geschichte rund um die Currywurst (mitsamt der Schwarzmarktgeschäfte und bis hin zu den Nutten an der Wurstbude), dass wir es hier durchweg mit kleinen, einfachen Menschen zu tun haben. Deren Sünden folglich auch klein sind. Die für das große Böse dieser Zeit nun wirklich nicht verantwortlich sein können. Judenvernichtung? Kriegsverbrechen? Das war irgendwer, aber ganz bestimmt weder Frau Brücker noch Herr Bremer.

 

Kurz und gut, das Gemütliche steckt für mich in dem moralischen Kosmos, den die Novelle aufbaut.

 

Und das war nun natürlich zugespitzt und sicher übertrieben. Absichtlich, um deutlicher zu machen, was ich meine. Und ich gebe freiwillig zu, dass ich diesem Punkt evtl. überempfindlich bin.

 

Herzliche Grüße

 

Barbara

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Mir geht es ähnlich wie Barbara, ich hätte es nur nicht so gut ausdrücken können. Genau hier liegen für mich ein Bisschen die Grenzen des Buches, das unabhängig davon über viele Qualitäten verfügt.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Unerhört ist' date=' dass einer eine NOVELLE über eine WURST schreibt.[/quote']

So ganz mag ich dir da nicht recht geben, liebe Angelika. Ich finde es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass ein literarisch schreibender Mensch sich ein Thema wie die Currywurst vornimmt. Die Art von literarischer Überheblichkeit, die das verhindern würde, kommt mir überholt vor. Heutzutage ist alles hoffähig, glaube ich. Auch die Currywurst.

 

Aber was die Feuilletons wollen - jetzt zitiere ich jueb, herzlichen Dank für die Vorlage! - das ist doch immerzu dieses sattsam bekannte "Noch nie da gewesen, revolutionär, Avantgarde!"-Ding. Und das hat er NICHT bedient - dafür ist mir das Ding Currywurst die Metapher, versteht ihr?

 

Nebenbei hätte ich die Novelle als Gattung auch nicht automatisch dem unterhaltungsfeindlichen Teil der deutschen Literatur zugeschlagen (falls es den überhaupt gibt, aber das ist ein anderes Thema). Der schon genannte "Schimmelreiter" ist doch nicht nur gute Literatur, sondern auch eine erstklassige Schauergeschichte. Von den Geschichten im Decamerone mal ganz zu schweigen.

 

Ja, das stimmt. Zugegeben.

Aber hier steige ich gleich wieder in die Rüstung:

 

Die "Gemütlichkeit" entsteht meinem Eindruck nach nämlich nicht so sehr durch das Was dieser Novelle - da kommen natürlich viele höchst ungemütliche Dinge vor. Frau Brückers Leben wird keineswegs als Idylle hingestellt, da hast du völlig recht, Angelika. Darauf wollte ich aber auch nicht hinaus. Wie gesagt, für mich signalisiert die Geschichte rund um die Currywurst (mitsamt der Schwarzmarktgeschäfte und bis hin zu den Nutten an der Wurstbude), dass wir es hier durchweg mit kleinen, einfachen Menschen zu tun haben. Deren Sünden folglich auch klein sind. Die für das große Böse dieser Zeit nun wirklich nicht verantwortlich sein können. Judenvernichtung? Kriegsverbrechen? Das war irgendwer, aber ganz bestimmt weder Frau Brücker noch Herr Bremer.

 

Und warum soll man Herrn Hitler reinmischen, wenn es um die kleinen Leute geht? Die mit dem "großen Bösen" ja eh nur insoweit zu tun haben, als sie als Untertanen und Kanonenfutter ihren Teil beitragen sollen. Darin unterscheiden sie sich dann aber doch - und Timm hat sie gezeichnet als Charaktere in ihren Funktionen vom Blockwart über Gauleiter rauf und wieder runter über den schlichten Mitläufer Bremer bis zu Frau Brücker, die sich freut, dass sie einen gerettet hat und zu Holzinger, der die Hurra-Meldungen mit Kotzessen sabotiert.

 

Barbara, ich hab das mit dem "Tausch- und Gebrauchswert" weniger geschrieben, um die unidyllische Nachkriegssituation zu belegen, sondern weil es marxistische Begriffe sind. Und so denkt sich Timm die Beteiligung der kleinen Leute (und ich geradeso): Verantwortlich seid ihr natürlich nicht. Aber mitmachen müsst ihr auch nicht jeden Scheiß, hört lieber mal ein bisschen die Signale ...!

 

Und das finde ich extrem politisch. Viel mehr als wenn wieder einer aufdeckt, dass Hitler irgendein Problem mit seiner analen Phase hatte.

 

Soweit mein Wort zum Donnerstag, ich habe hoffentlich niemandem ein Hühnerauge zertreten, geh jetzt auf eine Ausstellung und kann erst spät wieder reinsehen.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Unerhört ist' date=' dass einer eine NOVELLE über eine WURST schreibt.[/quote']

So ganz mag ich dir da nicht recht geben, liebe Angelika. Ich finde es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass ein literarisch schreibender Mensch sich ein Thema wie die Currywurst vornimmt. Die Art von literarischer Überheblichkeit, die das verhindern würde, kommt mir überholt vor. Heutzutage ist alles hoffähig, glaube ich. Auch die Currywurst.

 

Aber was die Feuilletons wollen - jetzt zitiere ich jueb, herzlichen Dank für die Vorlage! - das ist doch immerzu dieses sattsam bekannte "Noch nie da gewesen, revolutionär, Avantgarde!"-Ding. Und das hat er NICHT bedient - dafür ist mir das Ding Currywurst die Metapher, versteht ihr?

 

Angelika

 

Pardon, pardon.... aber diese Argumentation verstehe ich tatsächlich nicht....

 

Und ähm ähm, ich habe mich nicht übers Feuilleton geäußert, geschweige denn behaupten wollen, was die Feuilletons wollen, denn das weiß ich ehrlich gesagt nicht, was ich aber weiß, ist, dass die Currywurst von den Feuilletons herzlichst aufgenommen und gelobt worden ist....

 

LG

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Also, meine Hühneraugen sind wohlauf, liebe Angelika, die halten durchaus ein bisschen was aus. Darum möchte ich weiter widersprechen:

 

Ich hab ja gar nicht verlangt, dass Herr Hitler auftreten müsste, ob mit oder ohne Analphase. Mich stört überhaupt nicht, dass die Currywurst von den kleinen Leuten handelt. Was mich ein wenig stört (und stören ist ein viel zu starkes Wort, es ist mehr, das mir etwas fehlt, dass bei mir nach dem Lesen der Eindruck zurückblieb, hier hätte es sich jemand ein wenig leicht gemacht) - was mir also nicht behagt, ist mein Eindruck, dass dieses "Wir sind nur kleine Leute" sozusagen als Persilschein herhalten muss, als Anlass, den Blickwinkel der Geschichte auch aufs Kleine zu beschränken.

 

Ich glaube, der entscheidende Punkt ist dies:

 

Und warum soll man Herrn Hitler reinmischen' date=' wenn es um die kleinen Leute geht? Die mit dem "großen Bösen" ja eh nur insoweit zu tun haben, als sie als Untertanen und Kanonenfutter ihren Teil beitragen sollen.[/quote']

Das sehe ich einfach anders. Der Nationalsozialismus war immer auch eine Bewegung der kleinen Leute. Nicht aller kleinen Leute selbstverständlich. Aber auch nicht nur eine Machenschaft der Mächtigen.

 

Sicher, am Ende waren fast alle gegen den Krieg. Und in ihren Erinnerungen an diese Zeit sind sowieso alle dagegen gewesen. ;) Das irritiert mich, glaube ich. Dass der Ich-Erzähler der Currywurst diese Haltung einfach gelten lässt. Natürlich soll er die kleinen Leute auch nicht zu Verbrechern erklären! Aber so, wie es ist, ist es mir ein wenig zu glatt. Mir fehlt der Blick in den Abgrund.

 

Aber wie gesagt: Es fehlt mir nur so, wie man manchmal denkt: Mit einer Prise Curry hätte mir das Essen noch besser geschmeckt. Ich habe die Novelle sehr gern gelesen! Und erzähltechnisch finde ich sie klasse, keine Frage. Ich wollte hier nicht zum Generalangriff blasen!

 

Herzliche Grüße

 

Barbara

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Also gut, wenn ihr das unisono sagt, jueb und Barbara - dass es heute so locker ist in der Literatur (quasi wurst) - dann werde ich es glauben. Timm selbst hat übrigens in einem "Werkstattgespräch" geäußert, für ihn sei das unerhörte Ereignis eben die Entdeckung der Currywurst (da ist unser Andreas auch schon drauf gekommen  :s20). Ich hab das Zitat von irgendwoher, das Gespräch selbst findet sich in Manfred Durzak/Hartmut Steinecke, Die Archäologie der Wünsche. Studien zum Werk von Uwe Timm, 1995. Ich überlege, ob ich es mir besorgen soll, immerhin gibt es darin einen Artikel mit dem schönen Titel: Die Currywurst oder die Madeleine der Alltagsästhetik.

 

Wie beruhigt bin ich darüber, Barbara:

Also' date=' meine Hühneraugen sind wohlauf, liebe Angelika, die halten durchaus ein bisschen was aus. Darum möchte ich weiter widersprechen:[/quote']

 

Aber jetzt musst du mir noch was erklären. Dies hier -

...was mir also nicht behagt, ist mein Eindruck, dass dieses "Wir sind nur kleine Leute" sozusagen als Persilschein herhalten muss, als Anlass, den Blickwinkel der Geschichte auch aufs Kleine zu beschränken.

 

lese ich als Aussage darüber, dass mit dem kleinen Leuten auch nur ihre kleinen Taten ins Visier genommen werden. Und entsprechend deine weitere Ausführung

 

Der Nationalsozialismus war immer auch eine Bewegung der kleinen Leute. Nicht aller kleinen Leute selbstverständlich. Aber auch nicht nur eine Machenschaft der Mächtigen.

 

Wenn du damit sagen willst, dass es den Nationalsozialismus nie hätte geben können ohne Mitwirkung seines völkischen Untersatzes, gebe ich dir komplett Recht. Herrscher mit Volk im Aufstand habens schwer, und dieses Problem hatte Hitler leider nicht. Aber jetzt kommt es doch darauf an, das WIE dieser Mitwirkung zu bestimmen. Für einen Autor, der eine Novelle über diese Zeit schreibt, und für jemanden, der die Historie betrachten will, gerade so.

 

Du schreibst weiter:

 

Sicher, am Ende waren fast alle gegen den Krieg. Und in ihren Erinnerungen an diese Zeit sind sowieso alle dagegen gewesen. ;) Das irritiert mich, glaube ich. Dass der Ich-Erzähler der Currywurst diese Haltung einfach gelten lässt. Natürlich soll er die kleinen Leute auch nicht zu Verbrechern erklären! Aber so, wie es ist, ist es mir ein wenig zu glatt. Mir fehlt der Blick in den Abgrund.

 

Der Opportunismus von Wendehälsen - so ekelhaft wie bekannt. Die Einstellung, die diesem Verhalten vorausgeht auch - dieses vorsichtige lieber Mitmachen, lieber Wegschauen, lieber auf Nummer Sicher gehen. Der Abgrund, von dem du sprichst, setzt sich für mich zusammen aus Millionen von Dummheiten, Feigheiten und dem festen Willen, sich gegen den Anschein was Gutes, Sinnvolles zu Was-immer-es-sei zu denken. (Mir fällt bei dem Thema stets die Erzählung meiner Oma von ihrer Nachbarin ein, einer kreuzkatholischen Frau, die jeden Tag in die Frühmesse ging. Auf der Bluse trug sie eine Brosche mit dem Aufdruck: "Gott schütze den Führer!") Wenn das Volk so brav sein will, dann haben es die leicht, die es wirklich aktiv vorantrieben als Hetzschreiber, Offiziere, Richter etc.

 

Wenn du nun die Figuren in unserer Novelle durchgehst: Da sind sie doch in den Schattierungen des Mitmachens oder Hochtreibens:

 

- Die Denunziantin Eckleben, eine Lehrerin, die alle Zeiten unbeschadet überstanden hat und nun im Unterschied zu Lena Brücker ihre Pension genießt;

 

- der Blockwart Lammers, Parteimitglied, Hitlerfan, ein Würstchen, das plötzlich andere Leute schikanieren darf und sich daran erfreut;

 

- die Intelligenz: Dr. Fröhlich, schneidiger Redner, glühender Patriot, von heute auf morgen umgeschaltet, als die englischen Offiziere im Kasino sitzen und nach "einem Dreivierteljahr Internierungslager" zurückkehrt, um Personalleiter zu werden. (p. 136). Für diese Herrschaften schaltet sich sogar das Erzähler-Ich als recherchierender Autor dazwischen:

Ich war auch in die Hamburger Staatsbibliothek gegangen, hatte mir die Mikrofilme von den letzten Ausgaben der Hamburger Zeitung bis zum 2. Mai und die erste vom 7. Mai heraussuchen lassen. Ich wollte es nicht glauben, aber der Archivar versicherte mir, es seien dieselben Schreiber gewesen, die noch in der einen Woche von Endsieg und Kampf bis zum letzten Mann geschrieben und in der darauffolgenden die Beschlüsse des britischen Stadtkommandanten interpretiert hatten. p. 133

 

Und gar die Hauptfiguren:

 

Bremer ist ein netter Junge, ein guter Liebhaber und als politisch denkender Mensch unerträglich. Auf keinen Fall will er sich abbringen lassen von dem, was er so gelernt hat: Wir werden siegen, jetzt gehts gegen die Russen und Judenvergasungen - Gerüchte, Märchen, Feindpropaganda.

 

Lena - der Papa ein Sozi, sie selbst verfügt über eine gute Portion Hirn und Herz - lässt sich weniger leicht begeistern. Dennoch! Die dummen Reden von Bremer halten sie nicht davon ab, ihn weiter zu lieben. Diese Liebe ist halt ihr Weißwarum. Dass er Frau und Kinder hat (und alle Seiten deswegen betrügt), hält sie nicht davon ab, ihn zu lieben. Ihre Liebe verlängert den Krieg und ist stärker als ihr Gewissen. Erst als sie die Bilder aus den KZs sieht, wird ihr so schlecht, dass sie ihren Betrug mit dem andauernden Krieg nicht mehr durchhält. Und damit ist die Liebe aus.

 

Was an dieser Zeichnung ist dir zu glatt, Barbara?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Liebe Angelika,

 

alle anderen sind so still geworden - ich hoffe, wir beißen uns nicht zu sehr am Politischen fest?

 

Antworten möchte ich dir aber trotzdem. Zunächst: Meine Anspielung auf die Wendehalsigkeit und Vergesslichkeit der Leute war nur als Schlenker gedacht, nicht als Erklärung für den "Abgrund".

 

Der Abgrund' date=' von dem du sprichst, setzt sich für mich zusammen aus Millionen von Dummheiten, Feigheiten und dem festen Willen, sich gegen den Anschein was Gutes, Sinnvolles zu Was-immer-es-sei zu denken.[/quote']

Mit Abrund meinte ich viel mehr:

Die kleinen Leute, die für die Gestapo gearbeitet haben, die bei SS und SA waren. Die KZs bewacht haben. Die "Juda verrecke" auf Schaufenster gesprüht, die diese Fenster eingeschlagen und Synagogen angezündet haben. Die sich an der Arisierung ein goldenes Näschen verdient haben. Die Juden denunziert haben, die Deserteure denunziert haben. Die das alles nicht aus Angst und Duckmäusertum getan haben, sondern aus Überzeugung oder weil endlich mal sie die Starken sein und es den (jüdischen) Großen, Reichen geben konnten.

 

Bei Timm kommt ja durchaus eine Denunziantin vor, die Frau in der Wohnung unter Lena Brücker. Nur: Sie denunziert nicht. Nicht innerhalb der Handlung. Sie hört Schritte, fragt nach, ist offensichtlich misstrauisch - aber sie unternimmt nichts. Und Lena sagt zwar mehrfach, dass es lebensgefährlich sei, einen Deserteur zu verstecken - aber für mein Gefühl verhält sie sich ziemlich unängstlich. Ich spüre da keine wirkliche Bedrohung.

 

Solche Dinge machen die Novelle für mich ein wenig zu glatt. Auch was du zu den zwei Hauptfiguren schreibst, wirkt auf mich anders:

 

Bremer ist ein netter Junge, ein guter Liebhaber und als politisch denkender Mensch unerträglich. Auf keinen Fall will er sich abbringen lassen von dem, was er so gelernt hat: Wir werden siegen, jetzt gehts gegen die Russen und Judenvergasungen - Gerüchte, Märchen, Feindpropaganda.

 

Bremers "Jetzt geht's gegen die Russen" wirkt im Kontext der Novelle so abwegig, dass man gar nicht auf die Idee kommt, es - und damit Bremer - politisch ernst zu nehmen. (Und den Krieg hat er, wie der Autor es will, zum Großteil auf Schiffen verbracht, wo er mit der Judenvernichtung wohl tatsächlich wenig zu tun hatte.)

 

Lena - der Papa ein Sozi, sie selbst verfügt über eine gute Portion Hirn und Herz - lässt sich weniger leicht begeistern.

 

Ja, Lena scheint gegen Propaganda gefeit. Aber sie fühlt sich ganz offensichtlich auch nicht berufen, etwas gegen das zu unternehmen, was in ihrem Land falsch läuft. Eben dadurch verkörpert sie für mich  die Haltung: "Wir kleinen Leute kommen gegen die da oben ja doch nicht an."

 

Diese Haltung finde ich sehr menschlich. Wer weiß, ob ich es nicht auch so gemacht hätte. Oder schlimmer? Jedenfalls finde ich Lenas Haltung ganz gewiss nicht böse oder gar verbrecherisch. Nur wird die Haltung in der ganzen Novelle eben nicht hinterfragt oder relativiert. Und das erscheint mir für einen Roman (oder hier: eine Novelle) über die Nazizeit, heute geschrieben, eben doch eine Spur zu bequem.

 

Herzliche Grüße

 

Barbara

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Liebe Barbara,

 

zu zwei Dingen etwas:

 

Und Lena sagt zwar mehrfach' date=' dass es lebensgefährlich sei, einen Deserteur zu verstecken - aber für mein Gefühl verhält sie sich ziemlich unängstlich. Ich spüre da keine wirkliche Bedrohung.[/quote']

 

Das macht für mich zum einen dieses Figur mit aus: Ein Hasenherz hat sie nicht.

 

Zum anderen steckt darin eine politische Aussage, die sich gegen die tausendmal vorgebrachte Entschuldigung richtet: "Wir konnten doch nichts machen, wir konnten doch nichts machen!" Ja freilich, als Einzelner den Umsturz - das geht nicht. Aber im Einzelfall etwas nicht denunzieren oder übersehen oder auch jemanden verstecken - das war so unmöglich auch nicht. Zwei meiner Großonkel sind ein paar Wochen vor Kriegsende desertiert. Der eine wurde von einer italienischen Einheit geschnappt, sollte erschossen werden und konnte den dazu ausersehenen Soldaten mit Hilfe von Familienfotos überreden, in die Luft zu schießen. Den anderen haben Freunde versteckt. Wenn du dich an die unglaubliche Empörung erinnerst, mit der bei seinem Erscheinen der Film "Schindlers Liste" von gewissen Seiten bedacht wurde - die lag daran, dass der Film dies "Wir konnten nichts machen" mit einem leibhaftigen Gegenbeispiel konfrontiert hat.

 

Und hierzu:

 

Ja, Lena scheint gegen Propaganda gefeit. Aber sie fühlt sich ganz offensichtlich auch nicht berufen, etwas gegen das zu unternehmen, was in ihrem Land falsch läuft. Eben dadurch verkörpert sie für mich  die Haltung: "Wir kleinen Leute kommen gegen die da oben ja doch nicht an."

Diese Haltung finde ich sehr menschlich. Wer weiß, ob ich es nicht auch so gemacht hätte. Oder schlimmer? Jedenfalls finde ich Lenas Haltung ganz gewiss nicht böse oder gar verbrecherisch. Nur wird die Haltung in der ganzen Novelle eben nicht hinterfragt oder relativiert.

 

Das stimmt. Und das macht sie (Lena) für mich gar nicht glatt, sondern realistisch. So waren die Leute, so sind sie normalerweise. So sind die, die (mir jedenfalls) immer noch angenehmer sind als der große Rest. Wolltest du eine aufständische Lena Brücker, die Herrn Holzinger und Kollegen zu den Fanfaren ruft? Dann hättest du eine Heldin. Und diese Geschichte, lässt der Autor Lena sagen, hat keine Helden.

 

Herzliche Grüße - speziell an die Füße! - und natürlich können wir die Politik auch wieder ruhen lassen.

 

Angelika

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Meine Stille ist eher Zeitgründen geschuldet - und natürlich der Tatsache, dass ich mitm Lesen nicht so schnell nachkomme, geschweige denn, mir im Gedächtnis behalte, was wer wann gesagt hat.

 

Zur Novelle und zur Wurst:

immerhin gibt es darin einen Artikel mit dem schönen Titel: Die Currywurst oder die Madeleine der Alltagsästhetik.

 

Ein toller Titel! Für mich sind, wie schon gesagt Wurst und Novelle nicht unvereinbar, und ich kann hier nur, wie Lisa sagen würde "wild mit dem Kopf nicken:"

Ich finde es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass ein literarisch schreibender Mensch sich ein Thema wie die Currywurst vornimmt. Die Art von literarischer Überheblichkeit, die das verhindern würde, kommt mir überholt vor. Heutzutage ist alles hoffähig, glaube ich.

 

Mit dem Unbehagen an der Bequemlichkeit geht es mir ähnlich wie Angelika: Ich kann diese Glattheit, das zu Bequeme nicht sehen. In diesem Zusammenhang ist es im Übrigen auch interessant, Timms Gesamtwerk einmal zu betrachten.

 

Wenn du nun die Figuren in unserer Novelle durchgehst: Da sind sie doch in den Schattierungen des Mitmachens oder Hochtreibens:  

 

- Die Denunziantin Eckleben, eine Lehrerin, die alle Zeiten unbeschadet überstanden hat und nun im Unterschied zu Lena Brücker ihre Pension genießt;

Die fand ich wirklich abgründig, mit ihrer Tochter und dem Täßchen Kaffee. Auch die -tatsächliche -  Bequemlichkeit (und Angst) des Erzählers, der lieber nicht näher nachforschen will, ist einerseits symptomatisch für das Verhalten vieler (inklusive des eigenen, u.U), andererseits wird genau diese Bequemlichkeit ganz bewusst ins Licht gerückt.

 

Lammers finde ich auch sehr gut gezeichnet, als "esoterischen" Nazi. (Da denke ich auch an heute).

 

Ebenfalls finde ich Bremer gruselig, wie schon von euch geschildert, ein unwissender Junge, der von jedem Krieg/Führer instrumentalisiert werden kann, damals und immer und immer wieder. Ich mag den Bremer übrigens gar nicht.

 

Jedenfalls finde ich Lenas Haltung ganz gewiss nicht böse oder gar verbrecherisch. Nur wird die Haltung in der ganzen Novelle eben nicht hinterfragt oder relativiert.

Ich glaube, sie tuts einmal selbst, sie sagt, dass sie viel mehr hätte machen können, auch, dass sie schon ahnte, wohin die Juden kommen. Jetzt müsste ich zitieren, aber dazu fehlt gerade die Zeit.

 

 

Allerdings, was mich in der ganzen Debatte mehr interessiert:

Der von Barbara benannte "doppelte Erzähler" und der von Andreas und Jueb oder einem von ihnen benannte unzuverlässige Erzähler. Das tät misch brennend interessieren. Was macht er da und, verdammt, wie macht er das?

 

Liebe Grüße und hört alle die Signale, gelle (ich habs nämlich jetzt im Ohr)

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Hallo ihr lieben,

 

aus meiner Sicht besteht überhaupt kein Grund, nicht über die politische Dimension des Buches zu reden- im Gegenteil.

 

Später mehr. LG jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

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Ach so, und weil immer von der Liebesgeschichte die Rede ist:

Liebe ist das für mich nicht, auch nicht von Lena Brückers Seite. Diese Mischung aus Bedürftigkeit, Sex, Ausnutzung, Lügen, Verschweigen, Zärtlichkeit, whatever ist ... irgendwas anderes, was, weiß ich nicht.

Danke Andreas, für den Kalypso-Hinweis. Nee, nee, nee. Sachen gibts ...

wurschtige Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Das Politische an dem Buch liegt meines Erachtens nicht allein darin, wie es die Menschen und ihr Verhalten im Dritten Reich charakterisiert. Man sollte stets auch die Erzählsituation im Blick behalten: Hier erzählt jemand etwas, das er von jemandem gehört hat. Er erzählt es nicht nur weiter (an den Leser), er weitet es auch, d. h. er erfindet was dazu. Das Wie der Erzählung ist hier meines Erachtens genauso wichtig und politisch wie das Was. Schon das eigentliche Interesse des Erzählers ist ja dem, was dann erzählt wird, nicht angemessen. Er könnte auch von etwas anderem erzählen, das weiß er selbst:

 

„Eine Eintragung der Gestapo über Lammers: ‚Überzeugter Nationalsozialist. Lehnt aber Berichte über Mitbewohner ab. Ungeeignet!‘ Wofür er ungeeignet war, steht leider nicht dabei. Vielleicht könnte man auch das herausfinden. Ich begann zu blättern, Akten zu bestellen, aber dann ließ ich sie ungelesen wieder zurückgehen. Dieses an den Rändern zerfledderte, bräunliche Papier wäre eine andere Geschichte. Ich wollte ja nur herausfinden, wie die Currywurst entdeckt wurde.“ (dtv 121)

 

Dieser Erzähler will nicht in den Abgrund schauen. Er verengt absichtlich und bewusst den Blick. Ich behaupte mal (vielleicht liege ich falsch): In der Novelle geht es weniger um das Dritte Reich und die unmittelbare Nachkriegszeit selbst als vielmehr um unser eigenes Wegschauen und Desinteresse.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Dieser Erzähler will nicht in den Abgrund schauen. Er verengt absichtlich und bewusst den Blick.

Genau das meinte ich, als ich sagte, dass er diese Bequemlichkeit bewusst inszeniert. Und zumindest ist dieses Wegschauen einer der verstrickten Themenfäden.

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Dieser Erzähler will nicht in den Abgrund schauen. Er verengt absichtlich und bewusst den Blick. Ich behaupte mal (vielleicht liege ich falsch): In der Novelle geht es weniger um das Dritte Reich und die unmittelbare Nachkriegszeit selbst als vielmehr um unser eigenes Wegschauen und Desinteresse.

 

Leuchtet mir vollkommen ein, Andreas. Zumal ein weiteres Thema das Erinnern ist: Der Erzähler erinnert sich an Frau Brücker, Frau Brücker erinnert sich an Bremer, Bremer erinnert sich an das Currygericht - und ziemlich zur gleichen Zeit taucht mit dem verlorenen Geschmackssinn auch seine Erinnerung an die Zeit mit Lena wieder auf. All dies schreibt Uwe Timm im Jahre 1993, wo für so manchen das - ärgerliche - Kriegsergebnis endlich beseitigt war, und erinnert unter anderem daran, wie gut es war, dass dieser Krieg verloren wurde.

 

So so, Claudia, du möchtest also endlich zum Erzähltheoretischen. Aber jetzt bin ich streng: Bevor nicht wenigstens eine Erklärung zu dem Begriff "Entdeckung" eingeht, gibts nix!

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Guten Abend,

 

irgendwie überzeugt mich die Interpretation, Timm würde in diesem Buch die Bequemlichkeit des Wegschauens - gerade in der Person des Ich-Erzählers -bewusst inszenieren, überhaupt hat. Gerade als Nachgeborener müsste der Ich-Erzähler absolut keine Probleme haben, tiefer zu schürfen. Dass er so eine laue, irgendwie auch unpolitische Haltung gegenüber dem Erzählten und den Figuren einnimmt, irritiert mich schon.

 

Mir geht es ein Bisschen so wie Barbara, mir ist die Novelle in der Darstellung des Inhalts etwas zu glatt. Ich müsste den Text vielleicht nochmals en Detail angucken, um das besser zu begründen. Es hängt mit Sicherheit mit dem Erzähler zusammen, den ich merkwürdig harmlos finde, vielleicht auch haltungslos.

 

Eigentlich geht es in der Novelle doch um von und durch den Krieg beschädigte Menschen. Da bleibt bei mir schon erstaunlich wenig Verstörung zurück - am Ende der Lektüre. Der Schluss trägt für mich - jetzt übertreibe ich fast maßlos - so die Patina von Harmonie und Versöhnung.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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"Entdeckung der Currywurst", weil sie quasi durch Zu- und Unfall, nicht jedoch durch jahrzehntelanges Experimentieren "entdeckt" worden ist. Sie musste nicht erfunden werden, sie fiel in den Schoß.. ähm auf die Treppe??!! Jeder hätte sie erfinden können, also auch wir..:-)

 

 

LG

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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