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(AndreaG)

Authentizität in Details in historischem Roman / Saga

Empfohlene Beiträge

Hallo ihr Lieben,

 

ich habe eine Frage an die HR-Erfahrenen in der Runde:

Wie genau nehmt ihr es mit der zeitlichen Einordnung von Details in historischen Szenarien? Seht ihr absolute Geschichtstreue als zwingend an? Oder haltet ihr kleine zeitliche Verschiebungen von gewissen Details für verzeihlich, wenn es der Handlung dient und z.B. in einem Nachwort erwähnt wird?

 

Konkreter Fall:

Die Handlung beginnt 1845 in Boston (und es muss genau dieses Jahr sein, da sonst alle anderen historischen Rahmenereignisse nicht passen). Eine der Charaktere würde ich gern mit einem sog. Bloomers-Kostüm ausstatten (knielange Tunika mit 'Türkenhosen' darunter), das aber erst 1851 nach USA gebracht wurde und dort vor allem unter Frauenrechtlerinnen extrem populär (die Frauenrechtsbewegungen gab es aber natürlich schon vorher).

Das Kostüm ist ein stimmungsbildendes Detail und Aufhänger für eine Gesinnungsbeschreibung in einem Kapitel.

Ich hätte es jetzt einfach 6 Jahre nach vorn geschummelt und in Nachwort die Zeitverschiebung zugunsten künstlerischer Freiheit erwähnt. Bin mir mangels reicher Erfahrung im Genre aber nicht sicher ...

 

Wie seht ihr das?

Ich freue mich auf Meinungen!

 

Viele Grüße

Andrea

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Wenn du es im Nachwort aufklärst und begründest, warum du von der Realität abgewichen bist, ist es in Ordnung. Du schreibst ja einen Roman.

 

Ich habe auch in meinem Roman ein paar historische Details verändert, aber sie im Nachwort aufgeklärt. Bislang gab es keinerlei negative Kritik dazu. Ich denke mal, dass die Leser tolerant sind, wenn sie sehen, dass es nicht aus Unwissenheit seitens des Autors geschehen ist, sondern weil es für die Geschichte notwendig war. Vor allem wissen die meisten ja ohnehin nicht so genau, was wann war, und wenn sich jemand interessiert, wird er zunächst das Nachwort lesen und dort über die wahren historischen Details aufgeklärt werden.

 

Gruß, Melanie

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Liebe Andrea,

 

ich sehe (und mache) das genauso wie Melanie. Normalerweise achte ich ziemlich streng auf die Richtigkeit der historischen Ereignisse, aber manchmal passt es eben absolut nicht bzw. würde anders viel besser hinhauen. Dann muss das eben geändert werden. Und wie Melanie schon sagte: Kaum einer wird so genau wie du wissen, worum es geht. Es ist ein Roman, kein Geschichtsbuch.

 

Ich habe bisher in jedem meiner HRs ein kleines historisches Detail zugunsten des Plots zeitlich leicht verschoben. Das ist dramaturgisch durchaus zulässig, solange du es im Nachwort erwähnst. Das wissen auch die Leser zu schätzen. Also - nur zu!  :)

 

Liebe Grüße

Inez

Rebel Sisters 1: Die Pilotin (Lübbe, Juli 2024)

www.inez-corbi.de

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Liebe Andrea,

 

die gleichen Zweifel hatte ich auch. Ich habe einen Zeitraum um einige Monate verkürzen müssen. Meine Lektorin meinte, das sein kein Problem, wenn es dem Plot dient.

Die Erwähnung im Nachwort hat dann auch mein Gewissen bereinigt.

 

Liebe Grüße

Gabi

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Historische Daten müssen manchmal etwas gestrafft werden, sonst passt die Romanhandlung nicht, aber das kann man problemlos im Nachwort aufklären (sofern es sich um eine Entwicklung von wenigen Monaten handelt, längerfristige Konflikte natürlich nicht). Bei Details wie etwa Garderobe bin ich jedoch zickig - da gehen Verschiebungen, noch dazu um sechs Jahre, m. E. gar nicht. Denn m. E. sind es gerade diese Details, die einen historischen Roman ausmachen. Wenn Genauigkeit da keine Rolle mehr spielt, ist intensive Recherche für einen HR wohl nicht mehr nötig - und das tut dem Genre sicher nicht gut.

 

Liebe Grüße

Micaela

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Bei Details wie etwa Garderobe bin ich jedoch zickig - da gehen Verschiebungen' date=' noch dazu um sechs Jahre, m. E. gar nicht. Denn m. E. sind es gerade diese Details, die einen historischen Roman ausmachen. Wenn Genauigkeit da keine Rolle mehr spielt, ist intensive Recherche für einen HR wohl nicht mehr nötig - und das tut dem Genre sicher nicht gut. [/quote']

 

Wieso? Die Autorin hat doch intensiv recherchiert und wird im Nachwort aufklären, dass diese Mode erst sechs Jahre später auftauchte.

Du hast aber insofern recht, denn ich bin auch verschnupft, wenn in Romanen, denen man sehr genaue Recherche nachsagt, Kleidungsstücke 200 Jahre zu früh auftauchen, z.B. Mieder im Hochmittelalter oder Blusen, Röcke und zuknöpfbare Hosen - die im Hochmittelalter in dieser Form noch völlig unbekannt waren. Dort würde es das Lokarkolorit zerstören. Oder ich lese gerade einen Roman aus der Kleopatras Zeit, wo permanent über die Syphilis gejammert wird, die man sich dort in den Bordellen zuzieht ... Das geht natürlich auch gar nicht und zeugt einfach nur von der Unkenntnis der Autorin, die wohl nicht wusste, dass die Syphilis erst nach der Entdeckung Amerikas eingeschleppt wurde.

 

Aber wenn es für die Charaktere von ein paar Figuren wichtig ist, dass sie ein wenig extravagant sind und dann schon sechs oder sieben Jahre früher die Plummers tragen und das sogar noch im Nachwort aufgeklärt wird, dann zeigt es doch, dass die Autorin recherchiert hat - und die Leser lernen auch noch was.

 

Zumal - was sind schon 6 bis 7 Jahre? Wer kann heute noch so genau sagen, welche Mode vor 15 bis 20 Jahren genau aufgekommen ist? Da sind auch heute sogar noch Verwechslungen möglich.

 

Gruß, Melanie

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Ich hätte es jetzt einfach 6 Jahre nach vorn geschummelt und in Nachwort die Zeitverschiebung zugunsten künstlerischer Freiheit erwähnt. Bin mir mangels reicher Erfahrung im Genre aber nicht sicher ...

 

Wie seht ihr das?

Ich freue mich auf Meinungen!

 

Mir geht es da wie Micaela: Das würde mich als Leserin stören. Es gibt doch sicher noch andere stimmungsvolle Kleidungsstücke, die genau in die Zeit passen ...

 

LG

Christa

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Liebe Melanie,

 

man kann sehr genau sagen, welche Mode wann getragen wurde, denn es gibt Modezeitschriften (sogar aus dem 19. Jahrhundert) und andere Quellen wie etwa Modelexika, ohne die ich übrigens nicht schreibe. Mir persönlich bereitet es großen Spaß, herauszufinden, was wann gerade en vogue war und damit zu arbeiten, denn das macht für mich den Charme eines historischen Romans aus.

 

Viele Grüße

Micaela

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Liebe Melanie,

 

man kann sehr genau sagen, welche Mode wann getragen wurde, denn es gibt Modezeitschriften (sogar aus dem 19. Jahrhundert) und andere Quellen wie etwa Modelexika, ohne die ich übrigens nicht schreibe. Mir persönlich bereitet es großen Spaß, herauszufinden, was wann gerade en vogue war und damit zu arbeiten, denn das macht für mich den Charme eines historischen Romans aus.

 

Viele Grüße

Micaela

 

Ja, das ist mir klar, dass man es sehr genau herausfinden kann. Was ich meinte ist die Tatsache, ob man es als Laie, den eigentlich mehr die Geschichte als die Mode interessiert, so genau weiß. Wenn man ein paar hundert Jahre daneben liegt, wird es fast jeder merken, aber wenn es um sechs Jahre geht, wissen es nur Experten.

 

Ich denke einfach mal, es ist eine Geschmackssache und natürlich wird es immer Leser geben, die sich daran stören. Allerdings glaube ich nicht, dass es der breiten Masse so gehen wird. Und darum geht es bei der Entscheidung doch - stößt man einen Großteil seiner Leser vor den Kopf oder nur ganz wenige? Und sind diese wenigen Leser durch ein Nachwort zu versöhnen?

 

Gruß, Melanie

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Und darum geht es bei der Entscheidung doch - stößt man einen Großteil seiner Leser vor den Kopf oder nur ganz wenige? Und sind diese wenigen Leser durch ein Nachwort zu versöhnen?

 

Ohne das Nachwort hätte ich das sicher gar nicht gemerkt, denn ich recherchiere als Leserin solche Details nicht nach. Aber da wird ja freiwillig der Finger in die Wunde gelegt! Also entweder genau machen oder es stillschweigend einfügen, in der Hoffnung, dass niemand Modezeitschriften dieser Zeit liest. ;D

Ich selbst mache solche Dinge lieber dingfest, also halte mich nach Möglichkeit an genaue Details und erkläre im Nachwort, wo ich von der Wahrheit abgewichen bin.

Das betrifft aber eher Namen von Örtlichkeiten als Kleidungsstücke.

 

Christa

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Liebe Melanie,

 

Nachwort ist immer gut ! :D

 

Wahrscheinlich merken nur wenige Leser, wieviel Mühe hinter der Recherche für einen historischen Roman tatsächlich steckt. Aber sind wir nicht auch für uns als Autoren so genau? Ich meine, ich fühle mich einfach wohler, wenn ich alle Möglichkeiten bedacht habe, wobei niemand je alles richtig machen kann, weil die Geschichtsschreibung niemals frei von Ressentiments ist. Aber ich liebe es einfach, mich an den Gegebenheiten meines Handlungszeitraums zu halten. Witzigerweise fällt mir auf diese Weise das Plotten auch leichter.

 

Viele Grüße

Micaela

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Fuer mich sind das zwei verschiedene Schuhe:

 

Wenn ich einen Roman ueber die Hexenverfolgung in Tirol schreibe und im Ort Gamsbach wurde im Jahr 1621 eine blonde Frau als Hexe verbrannt, mein Roman spielt aber aus dramaturgisch relevanten Gruenden in Gamswinkel im Jahr 1623 und die Hauptfigur ist rothaarig - was spricht dagegen, den wahren Fall zu benutzen, aber ihn ein paar Kilometer, Jahre und Farbnuancen zu transferieren? Nichts, finde ich. Ich kann immer noch eine tolle Geschichte ueber ein wichtiges Thema schreiben und mir dazu durch recherchierbare Fakten helfen lassen.

 

Wenn ich hingegen einen Roman ueber zwei Ritter schreibe, die im Jahr 1271 durch Nordengland streifen und ploetzlich faellt mir ein: Mensch, da muesste doch jetzt nochmal was passieren ... und ich hab doch da dieses Buch ueber die verbrannte Tiroler Hexe .... die mach' ich jetzt da mal rein, damit's so richtig dampft und die die retten koennen - dann finde ich persoenlich dieses Buch nicht lesenswert. Vermutlich erntet es viel Applaus und wir stellen wieder mal alle fest: Klar, Mittelalter, das war doch diese unheimlich gemeine Zeit, wo die alle Frauen als Hexen verbrannt haben, aber wenigstens alle Maenner edle Ritter waren usw. Das ist fuer mich ueble Kulissenschieberei und wenn ein Autor im Nachwort erwaehnt, dass er historische Phaenomene um der Dramaturgie willen mal rasch um drei bis vier Jahrhunderte verschiebt, kann der sich das meinetwegen gern sparen. Ich les' das trotzdem nicht.

 

Die Geschichte ist Koenigin, ganz klar. Der historische Hintergrund darf und soll meiner Ansicht nach klar in ihren Dienst gestellt - aber nicht von ihr versklavt werden.

 

Herzliche Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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@Charlie

 

Genau - das eine ist ein historischer Roman, der ein paar Kleinigkeiten im Dienste der Geschichte verändern darf, aber trotzdem noch eine historische Geschichte erzählt, während das zweite Beispiel, das du anführst, im Grunde Fantasy im historischen Gewande ist.

 

Beides hat seine Leser. Problematisch wird es erst, wenn das falsche HR-Untergenre unter dem falschen Label verkauft wird.

 

Gruß, Melanie

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So, nun muss ich mich aber doch noch zu dem Thema melden. Ich finde, wer sich - auch bei einem historischen Roman - an die Fakten halten kann, sollte das unbedingt tun.

Geschichtsschreibung an sich ist ohnehin manchmal schon nicht mehr als ein besserer Roman. Ich halte nichts davon, Ereignisse oder Umstände ohne Not zu verändern, bloß weil es der Autor lieber so hätte. Schließlich sind wir kreativ genug, auch aus den überlieferten Details eine gute Geschichte machen zu können. Es schmuggeln sich auch so immer wieder "Fehler" hinein. Und ich fühle mich als Leser "verarscht " (entschuldigt den Ausdruck), wenn ich feststelle, dass ein Autor die Überlieferung absichtlich verändert hat - und sei es auch noch in einem kleinen Punkt. Dann nehme ich ihm oder ihr auch den Rest nicht mehr ab und ich lege das Buch weg.

 

Ich verwende für meine historischen Romane jedoch Mythen und Legenden, die zu den handelnden, meist historisch überlieferten Personen kursieren.

 

Ich muss allerdings gestehen, ich bin auch Journalistin. Das schlägt dabei vielleicht durch und ich bin deshalb so pingelig. ;)

 

LG

PG

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Petra, das muss wahrlich das journalistische Blut sein ... ich möcht mich auch gern auf Informationen verlassen können.

 

Ich werfe noch ein Argument in die Runde: Geschichte ist zumeist die kriegerische - und die wird bekanntlich von den Siegern geschrieben. Es lässt sich also so manches anders betrachten, wenn man die Position der Gegenseite einnimmt.

 

LG

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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Ich werfe noch ein Argument in die Runde: Geschichte ist zumeist die kriegerische - und die wird bekanntlich von den Siegern geschrieben. Es lässt sich also so manches anders betrachten, wenn man die Position der Gegenseite einnimmt.

 

Anni

 

Hallo, schön Dich hier zu treffen.

Das ist nur allzu wahr, liebe Anni, genau aus diesem Grund schreibe ich historische Romane, um (auch mir selbst) andere Blickwinkel zu eröffnen und damit zu spielen. Aber das muss ja nicht bedeuten, dass die historischen Ereignisse zurechtgestutzt oder Details verändert werden, um in den Roman zu passen.

 

Im Gegenteil. Ich finde die Frage spannend, wie sich Ereignisse in der Wahrnehmung verändern, sobald man sie aus einem anderem Blickwinkel als dem der Sieger schildert - deswegen sind bei mir die Hauptfiguren fast immer ganz "normale" Leute. Und die gewinnen in den Schlachten der Großen bekanntlich so gut wie nie.

 

lg

 

PG

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Ich halte nichts davon' date=' Ereignisse oder Umstände ohne Not zu verändern, bloß weil es der Autor lieber so hätte. [/quote']

 

Ohne Not sollte man es nicht tun. Aber letztlich muss man beim HR unterscheiden, was für einen HR man schreiben will.

Will man einen HR über ein historisch belegtes Ereignis oder historisch belegte Personen schreiben, dann gebe ich dir vollkommen recht.

 

Aber will man einen HR schreiben, der von fiktiven Charakteren handelt und in dem es um die Entwicklung von Figuren geht, die sich vor einem bestimmten historischen Hintergrund entwickeln, dann kann es manchmal notwendig sein, etwas zu raffen oder leicht zu variieren, damit die Kernaussage in der Charakterentwicklung der Figuren erhalten bleibt. Mit diesem Umgang des HR befindet man sich übrigens in guter Gesellschaft, denn auch die ganz großen aus dem Genre, die schon vor mehr als 100 Jahren Klassiker verfasst haben, haben sich dieser Methode bedient, z.T. auch, um Probleme ihrer damaligen Gegenwart anzuprangern. Natürlich sollten auch hier alle Details möglichst stimmig und genau recherchiert sein, aber in solchen Romanen geht es auf einer anderen Ebene um mehr, als um bloße Darstellung eines historischen Sachverhalts.

 

Und wenn - um bei der Ausgangsfrage zu bleiben - für die Handlung und Darstellung gewisser Figuren ein gewisser Kleidungsstil notwendig ist, aber der eigentliche Plot sich nur 6 Jahre früher darlegen lässt, dann ist es m.E. durchaus legitim, schon sechs Jahre früher Plummers zu erwähnen, weil dahinter eine besondere Aussage stecken könnte, die nur der Literatur erlaubt ist und die ein Sachbuch so niemals vermitteln könnte.

 

Gruß, Melanie

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Aber will man einen HR schreiben, der von fiktiven Charakteren handelt und in dem es um die Entwicklung von Figuren geht, die sich vor einem bestimmten historischen Hintergrund entwickeln, dann kann es manchmal notwendig sein, etwas zu raffen oder leicht zu variieren, damit die Kernaussage in der Charakterentwicklung der Figuren erhalten bleibt.

Gruß, Melanie

 

Hm. JEDER historische Roman entwickelt sich vor einem bestimmten historischen Hintergrund und auch mit fiktiven Figuren, sonst wäre es ja kein Roman. Ich persönlich würd's halt nicht machen, sondern ich versuche es eher damit, meine Geschichte an den historischen Hintergrund anzupassen.

 

Stimmt, es gibt berühmte Geister, die haben das anders gemacht. Aber die lebten zumeist auch in Zeiten, wo Informationen nicht so leicht zugänglich und damit für Jedermann überprüfbar waren. Aber so hat eben jeder seine eigene Herangehensweise.

 

Viel Erfolg. Ist das Buch, um des es ging denn schon erschienen?

 

LG

PG

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[Aber so hat eben jeder seine eigene Herangehensweise.

 

Das schon. Aber jetzt sieht es ein wenig aus, als ginge die eine Seite mit dem historischen Boden einer Geschichte leichtfertiger oder weniger "pingelig" um als die andere. Und das ist aus meiner Sicht nicht der Fall.

 

Es kann aus dramaturgischen Gruenden sinnvoll sein, zwei aufeinanderfolgende Einzelschlachten eines Krieges zu einer zusammenzuziehen. Damit hat man (finde ich!) weder schlampig recherchiert noch in Bausch und Bogen Fakten nach Gutduenken zurechtgemauschelt, sondern im Gegenteil: Man hat sich bemueht, dem Leser die Geschichte so aufzubereiten, dass er den bestmoeglichen Zugang erhaelt (und im besten Fall Lust, sich hinterher in der Sach- und Fachliteratur zum Thema umzutun!). Und man muss extrem pingelig recherchieren und werten, um so etwas ueberhaupt machen zu koennen.

Ein zweites gewichtiges Argument ist fuer mich die von Melanie angeschnittene Bandbreite der Moeglichkeiten, die der historische Roman hat. Will ich zum Beispiel subtil, ohne Zeigefinger auf eine Vergleichsmoeglichkeit mit aktuellen Problemstellungen hinweisen, kann es noetig werden, Akzente zu setzen und dafuer z.B. Ereignisse raeumlich und/oder zeitlich zu konzentrieren.

Das Problem dabei sehe ich nicht, schon gar nicht, wenn der Leser im Nachwort darauf hingewiesen wird. (Das braucht fuer mich auch keine Einzelaufzaehlung zu sein. Weist der Autor mich hin: Ich habe aus dramaturgischen Gruenden ein paar Ereignisse/Modephaenomene/Wetterlagen o.ae. um wenige Jahre verschoben, genuegt mir das voellig. Den Rest kann ich mir selbst erlesen, wenn ich moechte. Und wenn ich nicht moechte, darf ich auch von einer Geschichte verzaubert sein, ohne dass ich jeden einzelnen Trick des Zauberers kenne.)

Viel wichtiger ist mir, dass der Autor eines historischen Romans in die Mentalitaet und die Denkstroemungen der gewaehlten Epoche und Kultur so tief eingelesen ist wie irgend moeglich, damit er mich daran teilhaben lassen, mir ein Fenster oeffnen kann. Wenn er mir eine Epoche auf diese Weise nahebringt und mein Interesse fuer sie weckt, darf er gern eine Kirche zehn Meilen weit verschieben, damit ich ueber die Kirchturmspitze hinausschauen kann.

 

Herzliche Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Viel wichtiger ist mir' date=' dass der Autor eines historischen Romans in die Mentalitaet und die Denkstroemungen der gewaehlten Epoche und Kultur so tief eingelesen ist wie irgend moeglich, damit er mich daran teilhaben lassen, mir ein Fenster oeffnen kann.[/quote']

 

So in der Art hatte ich auch die Eingangsfrage von Andrea verstanden - durch die Wahl der Kleidung bestimmter Charaktere kann man ja eine Epoche mit ihrer Denkweise besonders gut charakterisieren. Damals waren Plummers fast schon ein Skandal, so zog sich eine anständige Frau doch nicht an.

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es auch heute noch genügend Tabu-Themen gibt, die man gut über das Medium des HR transportieren kann. Weniger politische Meinungsfreiheit, die haben wir ja zum Glück im Großen und Ganzen in Deutschland erreicht. Aber wenn man sich umschaut, so gibt es immer noch viele Themen, die sehr wichtig sind, aber gern unter den Teppich gekehrt werden.

 

Gruß, Melanie

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Das schon. Aber jetzt sieht es ein wenig aus, als ginge die eine Seite mit dem historischen Boden einer Geschichte leichtfertiger oder weniger "pingelig" um als die andere. Und das ist aus meiner Sicht nicht der Fall.

 

Es kann aus dramaturgischen Gruenden sinnvoll sein, zwei aufeinanderfolgende Einzelschlachten eines Krieges zu einer zusammenzuziehen. Damit hat man (finde ich!) weder schlampig recherchiert noch in Bausch und Bogen Fakten nach Gutduenken zurechtgemauschelt,on Charlie

 

Liebe Leute,

ich maße mir nicht an hier allgemeine Werturteile zu fällen, wann ein Autor "anständig" arbeitet oder nicht.

 

Ich persönlich - als Leserin - mag es nun mal lieber, wenn ich mich beim Lesen auf die Fakten verlassen kann. Und wenn es um zwei Schlachten geht, warum sich dann nicht eine von beiden, die exemplarischere raussuchen der besseren Lesbarkeit wegen? Jedenfalls lasse ich dann lieber weg als zu viel rüberbringen zu wollen. Oder bemühe mich jedenfalls darum. Ein Lektor hat mir einmal gesagt: Frag Dich immer, ob das für die GESCHICHTE wirklich notwendig ist. Und das ist zu meinem Leitsatz geworden.

 

Ich muss zugeben, ich finde es bei einem historischen Roman ohnehin mit am schwierigsten zu entscheiden, was ich den Lesern wann mitgebe, ohne die Geschichte zu bremsen, die ja eigentlich im Mittelpunkt steht und ohne beckmesserisch zu wirken. Und das glückt mir mal mehr, mal weniger gut.

 

Nicht nur im Leben auch beim Schreiben geht es halt um das richtige Maß.

 

lg

 

PG

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Hallo zusammen,

 

die Debatte über die Authenzität historischer Romane wird übrigens seit Goethe und Schiller geführt und ist ein wunderbares Beispiel, wie unterschiedliche Ideen richtig und konsequent sein können und dabei gleichzeitig widersprüchlich.

 

"Geschillert" ist ein historischer Roman, wenn eine gegenwärtige Frage bspw. "Menschenrechte" oder "Demokratie" durch eine historische Situation gespiegelt wird. Der historischer Hintergrund liefert sozusagen den Handlungsraum, die Personen und die Fragestellungen sind modern. Freiheiten von der Historie sind dazu notwendig und zwingend, solange sie die gegenwärtige Frage beleuchten.

 

"Gegoethet" ist ein historischer Roman, wenn die historische Situation dazu dient eine Frage zu erörtern, die bereits in der historischen Situation vorhanden war und die Geschichte sich möglichst genau an der historische Situation und den Personen orientiert.

 

Beide Vorgehensweisen haben ihre volle Berechtigung und ihre Nachteile. Etwas in die Historie zu setzen, was dort nicht orginär hineingehört, führt zu einer rückgewandten Utopie mit oft idealisierten und dämonisierten Figuren- die oft ahistorisch ist.

Sich gnadenlos der Authentizität unterzuordnen führt dazu, dass man vergisst, dass Geschichte letztlich immer nur eine Interpretation der Quellen ist- und, wenn man nicht gerade Umberto Eco ist, letztlich das Scheitern an der Historie dazugehört oder am Roman. Denn die Historie ist viel zu komplex, um sie in einem Roman abzubilden- somit muss man raffen, verwerfen und auswählen. Und die Historie ist oft widersprüchlich: Die oben genannten Beinkleider tauchen erst in den Modebüchern auf, nachdem sie Mode geworden sind. Also ist es richtig anzunehmen, dass sie vorher schon getragen wurden- nur seit wann und von wem, und wie sie dorthin kamen, ist unklar.

Somit kann zu viel Authentizität jeden Roman sprengen und führt nicht dazu, dass ein Roman historischer ist als ein anderer- denn nicht die Kleidung einer Epoche macht einen Roman historisch, sondern das Gesamtpaket- und das ist eine Fiktion (genau wie das "historische Gefühl").

Wer sich Kommentare zu manchen historischen Filmen oder Büchern durchliest, wo bemäkelt wird, dass es Kutschen mit xy erst ab 1486 gab, Steigbügel erst seit xy, wird eines feststellen. Das hat für 99% der Leser auf die Fiktion des Buches keine Auswirkung und ist im Prinzip belanglos. Das soll nicht heißen, dass man nicht recherchieren soll. Aber hier geht es um Augenmaß.

 

Als studierter Historiker kann ich nur anmerken: Ein Roman muss vor allem ein guter Roman sein, als historische Sachbücher taugt ein Roman nichts- was nicht bedeutet, dass ein guter historischer Roman nichts über die Zeit aussagt, in der er spielt. Ganz im Gegenteil. Ein guter historischer Roman ermöglicht einen anderen Zugang zu einer Zeit, als ein Sachbuch und hat einen Wert an sich. Der bemisst sich weder an modernen Fragestellungen, noch an Authentizität. Sondern an der Qualität seiner Fiktion, die in eine Zeit eingebettet wird und etwas aus dieser Zeit (und der Sicht seines Autors) über diese Zeit aussagt.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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Hallo,

 

ich habe z.Zt. gerade einen (zum Glück vorübergehenden) Anfall von: is doch eh wurscht.

Bei meinem aktuellen Buch gab es zwei Leser, die mangelnde historische Genauigkeit bemängelten.

 

Der erste meinte, er habe gar keine Lust, das Buch zu lesen, wenn er sich gleich über Dinge ärgern müsse wie die Tatsache, dass ich eine Ansiedlung mit achthundert Einwohnern als Dorf bezeichne. Und da ist er wieder, mein größter Feind: Der gefühlte Recherchefehler. :s16 Leser, die meinen, im Gefühl zu haben, wie es damals gewesen sein muss. Ich kann nun mal nix dazu, dass das Ding achthundert Einwohner hatte. Und ein Dorf war. Zum Glück hat er nicht weiter gelesen, sonst wäre er noch mehr geschockt gewesen: Die zweite geographische Hauptrolle spielt ein benachbartes Städtchen. Das hatte vierhundert Einwohner.

 

Leserin Nummer zwei bemängelte die "zu modernen" Vornamen der beiden weiblichen Hauptfiguren. Wozu setz ich mich extra in die Badische Landesbibliothek, mach mich mit alten Büchern staubig, in denen Jahrzehnt für Jahrzehnt steht, wer in dem großen Dorf und in dem kleinen Städtchen gelebt hat, mit Namen und Vornamen, schreib das ab und schöpfe aus diesem Pool?

Da könnt ich mir's doch leichter machen, schildere eine historische Welt mit altertümlichen Namen, wie man sie sich so vorstellt, und bin aus dem Schneider.

 

Nee, keine Angst. Zum Glück haben die meisten Leser etwas mehr Vertrauen in die Recherchefähigkeit von uns Autoren. Und zum Glück macht Recherche mehr Spaß, als etwas zu erfinden, zumindest in diesem Genre.

 

Liebe Grüße

Uschi

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