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(MarcB)

Jeder stirbt für sich allein, Hans Fallada, Neuauflage Aufbau

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Falladas Buch über den Nazi-Widerstand der "kleinen Leute" Otto und Anna Quangel, einem Arbeiterehepaar aus dem Wedding, stürmte ja vor einigen Monaten die Bestsellerlisten. Ich habe die Lektüre als E-Book gelesen.

 

Die Kernaussage des Buches fasst Almut Giesecke in ihrem Nachwort zusammen: "Noch der kleinste Akt des Widerstandes ist von Bedeutung."

 

Ich darf sagen: Dieses Buch zählt für mich mit Frank McCourts "Asche meiner Mutter", Cormac McCarthys "Straße" und Benioffs "Stadt der Diebe" zu den besten Büchern die ich in den letzten 10 Jahren gelesen habe.

 

Es ist mir völlig unverständlich, wie jemand ein Manuskript dieser Qualität mit 590 Druckseiten in 4 Wochen (!) schreiben kann. Aber das lag wohl in Falladas Natur, der ja ein Süchtiger war, sich in eine Sache so unbedingt hineinzusteigern.

 

Über den Inhalt, der den meisten vermutlich bekannt ist, hier nur ein paar Worte: Otto und Anna Quangel, die es sich in der Nazidiktatur eigentlich bequem eingerichtet haben und völlig unpolitisch sind, werden durch den Soldatentod ihres Sohnes so aus der Bahn geworfen, dass diese zwei älteren Leute den aussichtslosen Kampf gegen die Brutalität des Naziregimes aufnehmen und an verschiedenen Stellen in Berlin Postkarten mit aufwieglerischem Inhalt hinterlassen. Doch ihr Widerstand läuft ins Leere. Fast alle Karten werden bei der Polizei abgegeben, aus Angst vor Kollaborationsvorwürfen. In den Sog ihres Tuns geraten nicht nur die ehemalige Verlobte Trude, sondern auch diverse Kleinkriminelle, der Kommissar Escherich, ein aufrechter Gefängnispfarrer und Kammergerichtsrat Fromm. Kaum einer kommt lebend aus der Sache heraus. Und am Schluss erhält der Bluthund Roland Freisler vom Volksgerichtshof seinen großen Auftritt. Quangel wird in Plötzensee enthauptet, seine Frau stirbt im Bombenhagel im Gefängnis.

 

Typisch und sehr gelungen sind Falladas Beschreibungen des kleinkriminellen Miljöhs, der Diebe, Zuhälter, Prostituierten und Kneipiers. Erschreckend die Darstellungen der Zusammenarbeit von Polizei und Gestapo, von Denunziation und brutaler Gewalt, aber auch beim Lesen von Freislers Hetztiraden vor dem VGH stellen sich einem die Nackenhaare auf.

 

Kennt man die Verlagslandschaft in Deutschland, so drängt sich gleich der Eindruck auf: So ein Manuskript würde heute kein Autor mehr bei einem Publikumsverlag unterbringen. Ein historischer Roman der in der Nazizeit spielt, extreme Schwarz-Weiss-Malerei in den Charakteren, der unausweichliche Tod der beiden Protagonisten (und so ziemlich aller positiv besetzten Figuren in der Geschichte), kaum ein Hoffnungsschimmer.

 

Umso dankbarer bin ich, dass das Buch wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt wurde, denn es hat eine wichtige Aussage.

 

Die Figuren Otto und Anna Quangel sind zwar fiktiv, jedoch dem realen Ehepaar Otto und Elise Hampel nachempfunden.

 

Das Buch ergänzen diverse Zusatzinformationen, von denen ich als Autor am interessantesten die Abbildung einiger Original-Manuskriptseiten aus dem Aufbau-Archiv fand, auf denen auch die Lektoratsanmerkungen zu sehen sind. Es beruhigt zu sehen, dass auch in einem Manuskript dieses Kalibers nicht wenig lektoriert wurde.

 

Alles in allem eine unbedingte Empfehlung: LESEN!!!

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Es gibt Bücher, von denen man schon lange weiß, dass man sie lesen will und soll, und dann werden sie einfach vergessen. Jetzt gerade habe ich mich an eins erinnert.

 

Herzlichen Dank für die Rezension, Marc!

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Ich bedanke mich ebenfalls für die Rezension. Ich lese das Buch gerade, bin kurz vor dem Ende und sehr, sehr angetan. Allerdings begreife ich auch nicht, wie Fallada diesen dicken Wälzer innerhalb dieser kurzen Zeit schreiben konnte. Das geht doch gar nicht!

 

Herzlichst,

 

Anja

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