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BarbaraMM

José Samarago: Hoffnung im Alentejo

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Verlag rororo, Taschenbuch, erste Auflage 1985 by Aufbau-Verlag, Berlin, Originaltitel: "Levantado do Chão", 1980

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Klappentext:

"Die Provinz Alentejo, das Land der Sonne, des Weizens, der Olivenhaine und der Korkeichen, das Land der Großgrundbesitzer und der Tagelöhner. Der portugiesische Romancier José Saramago verfolgt hier das Schicksal einer Tagelöhnerfamilie über vier Generationen, von der Jahrhundertwende bis kurz nach der Revolution 1974. Er erzählt vom unsteten Leben des Domingos Mau-Tempo, das in tragischer Hoffnungslosigkeit endet, von seinem Sohn João, auf dessen Schultern nun die Sorge um die darbende Familie ruht, und seiner tiefen Liebe zu Faustina, von der Schufterei auf den Latifundien, vom ersten spontanen Aufbegehren und den organisierten Streiks gegen die Allgewalt des Patrons, von Inhaftierung und Folter durch PIDE-Agenten – aber auch von einer neuen Generation, die die Träume der Väter von einem menschenwürdigen Leben im Alentejo zu verwirklichen sucht.

Saramagos glanzvolle, reiche Sprache, seine liebevolle Ironie, die Genauigkeit seines Blicks - das sind die Grundlagen eines großen Werkes."

Inhaltsangabe und Rezension:

Rezension:

Was der Klappentext verspricht, löst dieses Buch auch ein: In reicher Sprache mit bilderreichen Beschreibungen wird der Leser vom überwiegend auktorialen Erzähler mit hinein genommen in die vielfältige Landschaft des Alentejo, der Kornkammer Portugals, die im Sommer unter einer gnadenlosen Hitze, im Winter unter sturzbachartigen Regenfällen und Kälte lastet, im Frühjahr erblüht, keimt und reiche Frucht trägt. Der Roman begleitet eine Familie über vier Generationen hinweg vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis kurz nach der Revolution 1974. Wir begleiten Domingos Mau-Tempo (schlechte Zeiten), wie er mit seiner schwangeren Frau Sara da Conceição mit zweirädrigem Karren, gezogen von einem Esel, hochbeladen mit Möbeln und sonstigem Hausrat, zur neuen Bleibe unterwegs ist; wie sie – kaum angekommen – ihrem ersten Kind, João, das Leben schenkt. Das Kind hat, sehr ungewöhnlich für einen Portugiesen, blaue Augen, und sogleich werden wir um drei Generationen zurück versetzt und erfahren, wie es zu diesen blauen Augen in der Vererbungslinie der Mau-Tempos gekommen ist.

Samarago wäre nicht Samarago, wenn er nun die Geschichte in einem glatten Rutsch weitererzählte. Die Perspektive wechselt, der Leser wird gleichsam in die Vogelperspektive versetzt und überblickt das Latifundium des Patron Lamberto Horques Alemão (Deutsch), und noch weiter, das ganze Land, dem politische Veränderungen bevor stehen, und erste Auseinandersetzungen zwischen Tagelöhnern und Patrões, ganz und gar unorganisiert und kaum von Erfolg gekrönt: "Patrão, wie hoch ist jetzt der Tageslohn?; warte ab, was die anderen zahlen werden, das zahle ich auch, sprich mit dem Verwalter; also wie hoch ist der Tageslohn?; einen Vintém mehr; das ist zu wenig für meine Bedürfnisse; wenn du nicht willst, dann laß es bleiben, es gibt noch andere als dich; ach, heilige Mutter Gottes, das reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben, und die Kinder, was gebe ich den Kindern; laß sie arbeiten ..."

Es kommt zum ersten Streik, der Patrão lässt Fremdarbeiter aus dem Norden kommen, es kommt zu Handgreiflichkeiten.

Die Geschichte kehrt zur Familie zurück: Domingos ist ein unsteter Geselle, immer wieder zieht es ihn an einen anderen Ort, und Frau und Kinder müssen mit; er ist unzufrieden und trinkt, und eines Tages verlässt er Frau und Kinder und lebt als Landstreicher, bis er sich, da er keine Hoffnung mehr hat, erhängt.

Wir verfolgen das Schicksal der Familie, Sohn João Mau-Tempo wird auf dem Latifundium als Korkschäler arbeiten, er wird heiraten, Kinder bekommen ... und immer schwingt die schwermütige Melodie der harten Arbeit auf den Feldern des Latifundiums im Hintergrund mit, im Takt der Sicheln, die das Korn schlagen, im Takt der Messer, die den Kork schälen.

Wieder werden Streiks organisiert, es geht um höhere Löhne. Dieses Mal gibt es geheime Botschaften, Handzettel werden verteilt, man schließt sich zusammen. Die Reaktion ist grausam. In der Provinzhauptstadt werden die "Aufrührer" in der Stierkampfarena zusammengetrieben. Im Dorf der Mau-Tempos werden "Rädelsführer" verhaftet, João Mau-Tempo kommt ins Gefängnis, wird verhört.

Es ist Samarago hoch anzurechnen, dass er nur eine einzige Szene beschreibt, in der ein Mensch zu Tode gefoltert wird, er beschreibt sie aus der Sicht der Ameisen.

João Mau-Tempo wird schließlich frei gelassen.

Sein Sohn António und sein Schwiegersohn Manuel Espada werden sich schließlich der Untergrundbewegung anschließen und Hoffnung in den Alentejo bringen, eine Hoffnung, die am Ende in der Revolution von 1974 gipfelt.

Ich habe das Buch mit steigender Spannung gelesen. Samaragos zum Teil recht unvermittelte Perspektivwechsel irritierten mich anfangs sehr. Seine Beschreibungen dagegen zogen mich immer wieder an, ließen mich eintreten in das Geschehen, und – da ich hier lebe – die Landschaft und auch das Verhalten der Menschen sehr lebendig werden. Zu der Szene, in der der Anführer des Aufstandes gefoltert wird, führt Samarago den Leser sehr langsam, quasi Schritt für Schritt, hin. Es ist das erste Mal, dass er in die Ich- bzw. Wir-Perspektive wechselt:

"Würden wir hier auf dieser Seite bleiben und Cesaltina folgen, könnten wir zum Beispiel mit dem Kind spielen, wer mag schon keine Kinder, dann würden wir jedoch nicht erfahren, was weiter geschieht, also bleiben wir auf keinen Fall hier ... Wir sind nicht rechtzeitig gekommen, um die Einleitung mitzuerleben. Wir haben uns mit der Besichtigung der Landschaft aufgehalten, mit dem kleinen Jungen gespielt ..."

Er zögert das Geschehen hinaus mit harmlosen Worten und wechselt dann zu den Ameisen hinunter, betrachtet sie, erzählt über sie:

"... die Türme sind Menschen, die Ameisen wissen das sehr gut, denn seit Jahrhunderten haben sie die Schwere ihrer Schritte gespürt, und unter dem langen, warmen Strahl, der aus einem aus dem Körper heraushängenden Schlauch herabschießt, starben ihrer viele, erstickt und ertränkt an allen Orten der Erde ..." und so werden wir weiter ganz langsam an das grausame Geschehen heran geführt, das er dann doch beschreibt, sachlich, fast kühl hat es mich am Ende zum Weinen gebracht.

Das Buch ist großartig, weil es den Leser so nah hinein nimmt, ihn teilhaben lässt am Leben der armen Bevölkerung und Schritt für Schritt beschreibt, wie sie versucht, sich aus den Fesseln zu lösen.

Mich hat es etwas gestört, dass Samarago an manchen Stellen die auktoriale Erzählweise sehr ausufernd anwendet; auch dass der Sterbende plötzlich als Ich spricht, hat mich seltsam berührt.

Insgesamt aber ein Roman, der diesen Geschichtsabschnitt farbig ausleuchtet und Verständnis und Mitgefühl weckt für die Menschen in dieser Zeit, in diesem Land.

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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