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jueb

Bedeutungsnuancen

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Guten Morgen,

 

folgenden Satz habe ich geschrieben:

 

"Das war in ihrem alten Kinderzimmer, ich stand da wie unter strömendem Regen."

 

Beim wiederholten Lesen kam mir der Gedanke, das "da" zu streichen, mit dem Ergebnis, dass sich die Bedeutung leicht verschoben hat:

 

"Das war in ihrem alten Kinderzimmer, ich stand wie unter strömendem Regen."

 

Mich würde interessieren, welche Version euch besser gefällt und was sie in euch wachruft, ohne dass ihr jetzt Näheres über Text und Geschichte wisst.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Hallo jueb!

 

Ganz spontan:

 

Mit dem "da" wirkt der Satz passiver, als würde sich der Erzähler selbst beobachten (z.B. die Körperhaltung).

 

Ohne "da" klingt es emotionaler, als könne der Erzähler den Regen auf der Haut spüren (Assoziationen zu Gänsehaut).

 

Hilft dir das?

 

Gruß,

Melle

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Das hilft mir schon mal sehr - vielen Dank!

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

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Hallo Jueb,

 

"Das war in ihrem alten Kinderzimmer, ich stand da wie unter strömendem Regen."

 

Beim wiederholten Lesen kam mir der Gedanke, das "da" zu streichen, mit dem Ergebnis, dass sich die Bedeutung leicht verschoben hat:

 

"Das war in ihrem alten Kinderzimmer, ich stand wie unter strömendem Regen."

Der erste Satz wirkt auf mich statischer, sie steht für mich da wie unter strömenden Regen. Der zweite eher als ganzes wie eine Metapher: Wie unter strömenden Regen stehen.

 

Aber beide wecken bei mir kein Bild: Wie steht man im Kinderzimmer unter strömenden Regen? Möglicherweise ist das ein Bild, das vorher im Text vorkommt, dann könnte ich was damit anfangen. Oder wolltest du das abgenutzte BIld "wie ein begossener Pudel" durch ein neues ersetzen? Bei mir wirkt das aber nicht.

 

Hans Peter

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Hallo, Jueb,

 

Der zweite Satz wirkt unmittelbarer. Das, wovon der Erzähler berichtet, geht der Figur (immer noch) sehr nahe.

Beim zweiten Satz denke ich, dass der Erzähler von einem Ereignis berichtet, der schon lange her ist, über dem schon das Gras gewachsen ist. Was auch immer da passiert ist, deine Figur ist schon darüber hinweg.

 

Hilft dir das?

 

Liebe Grüße,

Olga

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"Das war in ihrem alten Kinderzimmer' date=' ich stand wie unter strömendem Regen."[/quote']

Hier entsteht für mich ein starkes Bild - eben das Gefühl, dass etwas auf mich niederströmt, auch wenn ich diesem einen Satz natürlich noch nicht entnehmen kann, was dieses Etwas ist. (Erinnerungen? Traurigkeit?)

 

Wenn ein "da" eingefügt ist, wird das Bild für mich nicht so stark, weil - wie die anderen schon sagten - sich die Aufmerksamkeit auf das Dastehen verlagert, weg vom strömenden Regen.

 

So weit meine subjektiven Eindrücke.

 

Liebe Grüße

 

Barbara

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Lieber Jueb,

ich kann mich Barbaras Post nur in allem anschliessen.

 

"Das war in ihrem alten Kinderzimmer, ich stand wie unter strömendem Regen." - ist ein wundervoller Satz, der mich, ohne, dass ich den Kontext kenne, mit diesem starken Bild sehr berührt.

 

Liebe Grüsse!

Lisa

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Unterstützung aus der Wortbildungsecke für alle Poster, die den zweiten Satz vorziehen:

 

Mit dem "da" hast du entweder ein Präfix für ein eigenes Verb - "dastehen" -, das in vielen Kombinationen seine Dienste tut (gut dastehen, blöd dastehen etc) - solch kombinatorischer Gebrauch wirkt immer verflachend auf die Kraft, Bilder wachzurufen.

 

Oder du nimmst es als lokales Adverb (das auch in der obigen Deutung noch spürbar ist), das lenkt dann die Aufmerksamkeit auf ein wo/wohin. Was ist wichtiger? Der Raum, in dem er steht, oder das Gefühl dabei?

 

Mir gefällt der zweite Satz übrigens selber auch.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Lieber Jueb,

 

das kommt, wie ich finde, auf den Kontext an, den Du uns ja vorenthälst ;-)

 

Mit der zweiten Version, "unter Regen stehen" assoziiere ich spontan "unter Strom stehen." Wenn das in Dein Konzept paßt, wäre es meine Wahl. Ansonsten hat das "dastehen" etwas Passives, das ja auch eine Bedeutung mitbringt.

 

Gruß Eva

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Ihr seid wunderbar, vielen, vielen Dank!

Konkret geht es um eine Frau, die von ihrer Tochter vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Sie reist weit weg, weil sie es mit ihrer Mutter nicht mehr aushält.

 

Vor allem ging es mir aber darum, den Bedeutungsunterschied zwischen beiden Versionen herauszufinden. Und da habt ihr mir sehr geholfen!

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Für mich ist das ehe eine Frage des Erzähltons.

 

"ich stand da ..." kommt bei mir eher wie wörtliche Rede, ein lockerer Erzählton, dicht an der Person des Erzählers gehalten, an. Gleich, ob du jetzt "da" als Ortsbestimmung oder von "dastehen" hergeleitet verwendest.

"ich stand wie unter strömendem Regen" wirkt auf mich ein wenig abgehobener vom Erzählton her, "lyrischer", literarischer, irgendwie auch dichter ...

 

Das war jetzt einfach so aus dem Gefühl heraus geurteilt.

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solch kombinatorischer Gebrauch wirkt immer verflachend auf die Kraft, Bilder wachzurufen.

 

Liebe Angelika,

 

Damit ich das verstehe: Alle Verben, bei denen ich das Präfix nach hinten packen muss, wirken verflachend auf die Kraft der Bilder? Und was genau ist "verflachend": Meinst du damit die Distanz zum Ereignis? Die Passivität? Oder erzeugt man dadurch überhaupt keine Wirkung, sondern einfach nur ein schwammiges Bild?

Ich muss gestehen, darüber habe ich noch nie nachgedacht.

 

Liebe Grüße,

Olga

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Alle Verben, bei denen ich das Präfix nach hinten packen muss, wirken verflachend auf die Kraft der Bilder? Und was genau ist "verflachend": Meinst du damit die Distanz zum Ereignis? Die Passivität? Oder erzeugt man dadurch überhaupt keine Wirkung, sondern einfach nur ein schwammiges Bild?

 

Mit "flach" meine ich, dass das, was an Vorstellbarem in dem Wort drin steckt, immer mehr zurücktritt, du kannst auch "blass" dazu sagen. Mit Passiv hat das nichts zu tun, sondern mit dem Gebrauch der Wörter. Zu viel davon nutzt ab. Was heißt das?

 

Es gibt Wörter, die konkrete Gegenstände oder Tätigkeiten bezeichnen. Wenn ich sage "Ich setze das Baby auf den Tisch", weiß nicht nur jeder, was gemeint ist, sondern kann sich diesen Vorgang bildlich vorstellen: das Baby, den Tisch und auch das Setzen. Nun ist aber gerade so ein Verb wie setzen derart häufig im Einsatz, es wird zu so vielen (so genannten Funktionsverben) Nomen in Bezug gesetzt (!) (etwas in Gang, außer Funktion, in die Welt, außer Gefecht ... setzen) oder mit Präfixen verbunden (festsetzen, absetzen, hinsetzen, übersetzen...), dass der Mensch müde wird, sich da jedes Mal ein konkretes Bild vorzustellen. Meist geht es auch gar nicht (obwohl fast alle Worte, die wir benutzen, mal konkret waren und metaphorisch gebraucht wurden).

 

Wörter, die in diesem Prozess besonders hart rangenommen werden, sind die, die wir für das alltägliche Leben brauchen: kommen, gehen, setzen, stellen, legen.

 

Natürlich haben sie auch noch eine konkrete Bedeutung. Wenn bei jueb jemand im Zimmer steht, dann steht er da. Auf zwei Beinen, nehme ich an. Das ist schon anders, wenn es heißt: Die Firma steht finanziell glänzend da. Vor die Augen rufen kann ich mir da nichts mehr. Das kommt vom Bedeutungsschwund, den die Vorsilbe da dem Verb einbrachte und dem dazugehörigen Adverb/Adjektiv "glänzend"

 

Ist es jetzt verständlicher?

 

P.S. Dass man das Präfix nach hinten packen muss, hat damit nichts zu tun, das ist einzig Angelegenheit des Präfix selber. Wärest du halt  untrennbar geworden, sage ich da den Vorsilben immer, wenn sie sich beschweren: Ich bestand unter strömendem Regen (mein Examen) - bitte, geht doch!

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Ja, Angelika! Für mich ist dieser Aspekt sehr hilfreich, ich betrachte jetzt "alle meine Verben" mit ganz anderen Augen :-)

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AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Mit dem "da" hast du entweder ein Präfix für ein eigenes Verb - "dastehen" -, das in vielen Kombinationen seine Dienste tut (gut dastehen, blöd dastehen etc) - solch kombinatorischer Gebrauch wirkt immer verflachend auf die Kraft, Bilder wachzurufen.

 

Eben, weil es so etwas Umgangssprachliches hat, oder? Und im Sinne des wo/wohin ist mir "da" in diesem Kontext zu schwach, da erwarte ich ein dort-was im Zimmerbeispiel grottig wäre-oder ein mitten im Raum, etwas Konkreteres.

 

Bin also auch für den zweiten Satz, der in mir einen kleinen Gänsehautschauer ausgelöst hat, weil man sich so viel dabei denken kann.

 

Liebe Grüße

Claudia

 

edit: wir haben uns überschnitten! (und was ist das jetzt für ein Satz, hmmm)

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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ich betrachte jetzt  "alle meine Verben" mit ganz anderen Augen

 

Das ist recht so, jueb. Die Verben haben eine schonende Behandlung verdient, die schuften sich wirklich immer einen ab im Satz!

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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:-)

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

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Ist es jetzt verständlicher?

Ich weiß nicht, vielleicht stehe ich ein wenig auf dem Schlauch, ich kann es noch nicht richtig "nachfühlen" (Schon wieder das Verb mit Präfix)

 

Zuerst dachte ich, du meinst es so: Da man das Präfix immer nach hinten packen muss, macht man es dem Leser nicht leicht, weil er vielleicht das Bild, das er am Anfang des Satzes schon im Kopf erzeugt, umwerfen und es sich neu zurechtlegen muss. Das erzeugt natürlich ein etwas "schwammiges" Bild.

 

Aber anscheinend geht es dir um etwas anderes. Dieses "andere" kann ich aber noch nicht so richtig greifen.

 

Liebe Grüße,

Olga

 

P.S.

(Mit "Passiv" meinte ich nicht die grammatikalische Bedeutung)

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Eben, weil es so etwas Umgangssprachliches hat, oder?

 

Kann auch mit reinspielen, Claudia. Aber in der deutschen Sprache in jedem Fall klar zu bestimmen, was umgangs- und was hochsprachlich ist, ist (anders als im Arabischen oder Russischen etwa) fast nicht möglich. In gewisser Hinsicht auch ein großer weißer Fleck auf der Grammatiklandkarte. Oder weiß jemand was darüber? Her damit! Ich frage schon seit Jahren da immer herum.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Olga, ich muss aus dem Haus - ich antworte dir am Abend, ja?

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Aber in der deutschen Sprache in jedem Fall klar zu bestimmen, was umgangs- und was hochsprachlich ist, ist (anders als im Arabischen oder Russischen etwa) fast nicht möglich.

 

Ja, ick laviere mir da auch immer so zwischen beiden durch...und wollte damit auch nicht sagen, dass "Hochsprache" in jedem Fall besser wäre. Nur in Juebs Beispiel schien es für mich ein Grund zu sein, warum dastehen schwächer wirkt als das schlichte Stehen. Leider weiß ich nichts über das weiße Feld der Grammatik...aber echt interessantes Thema!!

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Hallo jueb,

 

mein Senf in aller Kürze: Satz zwei klingt für mich mehr nach. Gerade in Hinblick auf die Ausgangssituation, die du umrissen hast, ist diese zweite Version mein klarer Favorit, da er sich mehr auf den Allgemeinzustand der Mutter bezieht, während der Satz mit dem Wörtchen "da" eher auf die konkrete Situation im Kinderzimmer Bezug nimmt. Im Kontext wäre es aber - für mich jedenfalls - sinnvoller und stimmiger, wenn du mit dem Satz den allgemeinen Zustand der Mutter beschreibst. Abgesehen davon klingt die Variante ohne "da" einfach besser.

 

Viele Grüße

 

Thomas

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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Wohlan, Zeit wirds für die Abendlektion. Sitzen alle gut? Dann los.

 

1. Es sind zwei verschiedene Gebiete, auf die du dich mit deiner Frage beziehst, Olga. Die Sache mit dem abgesäbelten Präfix gehört in das Kapitel Syntax. Das, was ich mit flachgewordener Bedeutung meine, was das ist und warum es passiert, gehört zur Semantik, im weiteren Sinne auch zur Etymologie der Wörter.

 

Es mag sein, dass sich auf einer höheren, sprachphilosophischen Ebene das dann wieder trifft (und letztlich alles irgendwie miteinander zusammenhängt). Aber bevor man sich so einer Frage zuwenden kann, muss man erst mal die beiden Dinge, die sich da womöglich treffen, getrennt voneinander untersuchen, sonst gibts Kuddelmuddel. Daher

 

2. Zur Syntax oder: Was macht dieses abgetrennte Präfix da hinten am Satzende?

 

Es folgt einem Gesetz der deutschen Syntax, die eine Art Klammerstruktur liebt. Klammern bilden etwa der Artikel und das Nomen, das ihm folgt wie bei der Mann.

Wenn sie einfach so aufeinanderfolgen, sieht man ihnen wenig Klammerartiges an.

 

Aber hier vielleicht schon eher:

der stets gut gelaunte Mann.

 

Und hier sollte es überdeutlich sein:

der trotz seiner durch einen tragischen Unfall verursachten Witwenschaft stets hilfsbereite und gut gelaunte Mann

 

Könnt ihr die Klammer sehen? Und wozu ist sie gut, fragt da einer? Gute Frage! Die vordere Klammer, der Artikel, ist so was wie ein Paukenschlag, der den Zuhörer/Leser darauf aufmerksam macht, dass gleich was kommt, was Wichtiges: ein Nomen. Dann folgen all die Attribute über dieses Nomen und bevor man vergisst, worum es überhaupt geht, steht am ENDE der Mann. Das mit dem Ende ist deshalb so wichtig, weil die Deutschen gern Riesensätze machen. Was zuletzt kommt, behält man aber noch im Ohr. Deshalb ist diese Endstellung unter den Wörtern so beliebt.

 

Wie üblich hat das Verb hier am meisten zu schuften. Klammern gibt es bei Sätzen

 

mit zusammengesetzten Zeiten, also dem Perfekt z.B. (ich nehme mal juebs Satz und variiere ihn):

Ich habe wie vom Regen begossen im Zimmer gestanden.

 

mit Modalverben:

Ich wollte aber gar nicht in diesem Zimmer stehen.

 

Und auch mit trennbar präfigierten Verben. Jawohl, auch diese winzigen Vorsilben müssen Dienst tun - Kinderarbeit sozusagen:

Ich stand wie vom Regen begossen da.

 

Sobald jedoch die schon erwachsenen Verben, also Hilfs- und Modalverben die Arbeit verrichten können, werden die kleinen Vorsilben wieder erlöst von der Fron und kleben - schwubbs - wieder dran an ihrem Mutterverb:

 

Ich habe wie begossen dagestanden

Ich wollte doch aber gar nicht so blöd dastehen.

 

So, und jetzt, Olga, müsste klar sein, dass das abgetrennte Präfix hier nur den syntaktischen Dienst verrichtet, den die Grammatik von ihm wünscht. Ja, auch hier gibt es wie oben beim Artikel eine rhetorisch-pragmatische Funktion: Der erste Verbteil (der meist nur grammatikalische Hilfsdienste verrichtet) macht wieder den Trommelwirbel: Aufgepasst! Ich habe/bin/werde/lasse/muss .... WAS? und wenn man es vor Spannung schon gar nicht mehr aushält, kommt wieder am ENDE die Erlösung: nämlich der zweite Verbteil, der sagt, was Sache ist. Tusch und fertig.

 

Das hat mit Bedeutungsschwund nichts zu tun. Der stellt sich

 

3. her über den übermäßigen Gebrauch von Wörtern, die einmal wie ein Relief mit seinen Erhebungen und Tiefen ein klares BILD gezeigt haben von dem, worüber gesprochen wird. Je ausführlicher die Sprache die Welt überwuchert, desto mehr Wörter brauchen wir, um all das benennen zu können, was vor uns liegt. Was tun? Man kann neue Wörter basteln. Aber meist nimmt man die alten und benutzt sie in figurativer Absicht. Sie bekommen jetzt eine zweite Bedeutung aufgeschnallt, für die die erste, alte Bedeutung nur die Metapher stellt: Ein schwarzer Tag hat keinen Farbanstrich bekommen, aber das Wort schwarz eine zusätzliche Bedeutung. Bei so was wie Farbmetaphern bleibt die ursprüngliche Bedeutung noch lange erhalten. Sie liegen ja auch nur in bildlicher Sprache, also in Sonderfällen vor. Aber bei den Verben, die wir millionenmal gebrauchen, weil sie zu unserem Alltag gehören und die darüberhinaus und zusätzlich noch die Bedeutung von neuen Zusammenhängen tragen müssen, wetzt sich die alte, konkrete und bildhafte Bedeutung ab. Das "Relief" verliert sich, das Wort wird "flach".

 

Der Schimpanse ergreift die Banane.

 

Klare Worte, Bild vorhanden, alles konkret, oder?

 

Die Kanzlerin sagte, jetzt müssten Maßnahmen ergriffen werden.

 

Schon wieder das Verb ergreifen. Siehst du jetzt noch eine Hand? Finger, die sich schließen? Oder gar das, worum sie sich schließen wollen?

 

Die Firma steht inzwischen finanziell wieder glänzend da.

 

Siehst du irgendwo Beine? Abgestorbene Metapher, flache Sprache.

 

Nicht schlechte Sprache! Aber nichts für die, die etwas sehen wollen. Und die bedient man ja mit der Literatur. Deshalb hat Tschechow diesen Satz gesagt mit den zu vermeidenden Wörtern, den Hilke in den Gewölben des Mitgliederbereichs zitiert hat. Ich steige gleich mal hinab und hole ihn rauf.

 

Eine Minute bitte.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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So, jetzt spricht Anton Pawlowitsch:

 

Dann arbeiten Sie nicht am Satz; man muss ihn gestalten – darin liegt die Kunst. Man muss alles Überflüssige hinauswerfen, den Satz von „nach Maßgabe dessen“ und „mit Hilfe von“ reinigen, man muss für seine Musikalität sorgen und darf nicht zulassen, dass in einem Satz fast nebeneinander „hörte“ und „aufhörte“ steht. ... Die Holprigkeit müssen Sie fühlen, denn Sie sind musikalisch und feinfühlig ...

(Tschechow an L.A. Avilowa, Nizza, 3.11.1897)

 

Danke nochmal an Hilke, die für uns in ihren Archiven gewühlt hat.

 

Ja, warum will der Mann dieses „nach Maßgabe dessen“ und „mit Hilfe von“ nicht haben? Er spricht von Musikalität. Aber an der mangelt es natürlich auch, weil wir mit der Bedeutung, die diese Töne tragen, nichts mehr sehen, hören, spüren können! Das ist flache Sprache, meine ich.

 

Habt ihr so lange ausgehalten? Brav! Dann Große Pause jetzt und Gute Nacht,

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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