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Angelika Jo

sympathisch oder unterhaltsam

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Hat noch jemand das Interview mit Woody Allen vor kurzem in der SZ gelesen?

 

(Link ungültig)

 

Seit zwei Tagen beschäftigt mich dieser Satz:

 

SZ: Mögen Sie die Figuren, die Sie erfinden?

Allen: Ich überlege eigentlich nie, ob ich sie mag, sondern nur, ob ich sie unterhaltsam finde.

 

Da ich immer wieder lese, dass der Autor seine Figuren mögen, ja sogar lieben muss, fand ich diese Auskunft, was die Herangehensweise betrifft, hochinteressant.

Es muss ja kein Widerspruch sein: Die unterhaltsame Figur kann sympathisch sein, die sympathische Figur unterhaltsam. Aber auch eine Nervensäge (wie manche Figuren, die Woody selber dargestellt hat) kann unterhaltsam sein. Und wie.

 

Und wie wird sie sympathisch? Rückwirkend oder war da vorher schon was eingebaut?

Ist es die Art, wie sie aufgebaut wird (in der Schreibe und/oder vom Darsteller aus) die sie letztendlich auch sympathisch werden lässt? Den Stadtneurotiker mag man dann ja doch, obwohl man versteht, dass Diane Keaton es nicht mehr aushält, oder?

 

Weiß jemand etwas zu dieser Art des Aufbaus? Oder steh ich da vollkommen im Schnee?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Woody Allen sagt in dem Interview auch, dass ihm eine Figur (die er ja wohl unterhaltsam findet) leid tut. Wenn schon Sympathie nicht das Hauptkriterium ist, dann ist zumindest Empathie im Spiel. Die Vorstellung, die Figuren auf einer imaginären Bühne oder Leinwand zu sehen und sich vorzustellen, ob sie unterhalten, ist wohl im tragikomischen und humoristischen Bereich üblicher als anderswo. Man braucht Figuren mit Schwächen, Figuren, denen allerhand zustoßen kann und muss. Ohne Empathie passiert es dann wohl, dass man die Figuren vorführt und dann hört es ganz schnell auf, komisch zu sein (oder man gelangt in Humorgefilde, in die ich zumindest mich nie verirren möchte.)

Ein interessantes Interview, danke Angelika (zumal ich gerade selbst an einem Artikel über Humor sitze...)

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Hallo Angelika,

 

ein interessantes Thema.

Ich denke in erster Linie ist es wichtig, dass ein Autor seine Figuren gut kennt, sie durchschaut, dass sie für ihn nachvollziehbar sind. Dann letztlich mag er sie auch in all ihren Facetten.

 

Der Trick, einen Neurotiker trotz seiner anstrengenden Art sympathisch zu machen, geht glaube ich in dieselbe Richtung: Wenn der Leser oder die Zuschauerin, die alles Verständnis für diejenigen aufbringt, die sich vom Neurotiker abwenden, das Gefühl hat, dass der Neurotiker schlicht nicht aus seiner Haut kann, sich aber redlich bemüht, dann entsteht auch eine Sympathie für ihn.

 

In manchen Romanen/Filmen ist der Gute gut und der Böse böse. Da ist das mit der Sympathie/Antipathie nicht schwer.

Andere wiederum geben dem Bösen etwas mit, was sein Handeln zwar nicht weniger verwerflich, aber verstehbar macht. Eine Frau, die aus Rache die Protagonistin verfolgt und sie töten will, wird in ihrer Motivation nachvollziehbarer, wenn man weiß, dass die Protagonistin der Rachsüchtigen den Mann ausgespannt hat. Natürlich ist die Reaktion immer noch überzogen aber wenn man ihren Schmerz nachvollziehen kann, dann gewinnt sie auch Sympathie beim Leser. Gleichzeitig gerät auch die Protagonistin tiefer, weil sie eben nicht nur eine weiße Weste hat, sondern einen dunklen Punkt, den sie vielleicht bereut, der aber dennoch an ihr klebt.

 

Was ich sagen will: Nachvollziehbare Motivationen von Figuren sind meiner Ansicht nach wichtig, um eine Figur sympathisch zu machen. Zudem der Wille der Figur, sich aus der Situation zu befreien.

 

Wird nicht bei Hannibal Lecter immer gesagt, der sei trotz aller Grausamkeit eine sympathische Figur? Schaut mal die Vita an, die der Autor ihm gegeben hat: Hannibal Lecter (Link ungültig) (Link ungültig)

 

Viele Grüße

Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Seit zwei Tagen beschäftigt mich dieser Satz:

 

SZ: Mögen Sie die Figuren, die Sie erfinden?

Allen: Ich überlege eigentlich nie, ob ich sie mag, sondern nur, ob ich sie unterhaltsam finde.

Ich denke, da hat er auf einen der beliebtesten Irrtümer aufmerksam gemacht: Personen müssen nicht sympathisch sein.

 

Wichtig ist: sie müssen faszinieren. Natürlich faszinieren Figuren mehr, wenn sie auch sympathisch sind, aber das ist nicht das wesentliche.

 

Nimm eine junge Frau, die ihrer Schwester den Bräutigam ausspannt, wegen 300 Dollar. Eigentlich ist sie in einen anderen Mann verliebt, dem macht sie den Job kaputt, weil der dann wegziehen würde. Dessen Frau spielt sie vor, dass sie ihre Freundin wäre (während sie hinter ihrem Mann herrennt).

 

Die Dame heißt Scarlett OHara und ist mit "Vom Winde verweht" zu einer der erfolgreichsten Romanfiguren überhaupt geworden.

 

Die Freundin heißt Melanie, sieht in allen Menschen das Gute, ist durch und durch sympathisch. Aber wäre sie die Protagonistin des Romans, hätte der garantiert nicht soviel Erfolg gehabt.

 

Natürlich erleben wir im Roman auch, warum Scarlett das alles tut. Sie will ihre Plantage erhalten, sie hat bittere Not erlebt, sie will niemals mehr Not erleben und dafür geht sie über Leichen.

 

 

 

Da ich immer wieder lese, dass der Autor seine Figuren mögen, ja sogar lieben muss, fand ich diese Auskunft, was die Herangehensweise betrifft, hochinteressant.
Ich denke, dass die Autorin Scarlett durchaus geliebt hat. Wenn du so lange Zeit mit jemand verbringst, bleibt das nicht aus. Aber das heißt nicht, dass sie deren Aktionen alle toll finden musste.

 

Hans Peter

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Danke schon mal für die Antworten. Ich muss gleich wieder aus dem Haus und gehe gleich drauf ein, sobald ich wieder da bin.

 

Nur geschwind zu dir, hp, damit da kein Missverständnis aufkommt: Mit sympathisch meine ich nicht moralisch integer. Das sind zwei Paar Schuh.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Hallo zusammen,

 

 

in meinem Debütroman, der Anfang Februar beim Gmeiner Verlag erscheint (*hüstel*), habe ich genau so eine Hauptfigur. Eine ziemlich neurotische Frau, die ich persönlich an manchen Tagen lieber nicht kennen möchte. Aber ich wollte sie so haben und für die Geschichte, die ich erzählen wollte, war es ebenfalls wichtig, dass die Frau keine zuckersüße Honigbiene ist, jedenfalls nicht auf den ersten Blick, sondern anstrengend, nervend usw.

Diese Seite habe ich am Anfang wohl so gut hinbekommen, dass selbst meine Lektorin mehrfach den Kopf geschüttelt hat und meinte, dass ich den Leserinnen mit so einer Zicke das Lesevergnügen verderben würde. Ich hatte es also versäumt, die Figur von Anfang an so mehrschichtig aufzubauen, dass ihre Motivation deutlich wird. Jemand weiter oben schrieb ja schon, dass Leser viel mitmachen, wenn sie wissen, warum und wozu. Wir haben dann nachträglich diese Gründe herausgearbeitet und, was noch ganz wichtig war, auch das Ziel der Figur, also ihr Entwicklungsziel klarer gemacht. Und dann hats auch funktioniert.

 

Unterhaltsam und sympatisch sind für mich auch zwei sehr nahe Verwandte, und trotzdem verschieden. Z.B. finde ich Vicco von Bülow in "Pappa ante Portas" unterhaltsam, aber nicht sympatisch.

 

Und umgekehrt funktioniert es für mich auch nicht immer. Nicht jede Figur, deren Motivation, Geschichte und persönliche Ziele ich kenne, wird mir dadurch sympatisch oder unterhaltsam.

 

viele Grüße, Dorit  

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Ich kann unterhaltsame Figuren mögen. Sie müssen mir aber nicht sympathisch sein. Die Grenze ist fließend. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass der Autor seine Figuren mag - mit allen ihren Ecken und Kanten - und zu ihnen steht. Ob sie ihm nun sympathisch sind oder nicht.

 

Gruß, Melanie

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Nur geschwind zu dir' date=' hp, damit da kein Missverständnis aufkommt: Mit sympathisch meine ich nicht moralisch integer. Das sind zwei Paar Schuh.[/quote']

Ja, auch da sind die Grenzen fliessend.

 

Aber Scarlett übertritt nicht nur die Grenze zu moralisch integer (das macht sie oft sympathisch, vor allem wenn man das betrachtet, was in der Zeit als "moralisch integer" betrachtet wurde), sondern ist häufig auch nicht sympathisch.

 

Beispiel: Sie hat gerade ihren ersten Mann verloren, den sie nicht liebte, sondern heiratete, weil der, den sie wollte, ihr einen Korb gab. Jetzt ist sie auf einem Tanzfest, darf als trauernde Witwe eigentlich nicht tanzen. Tut es dennoch.

 

Die Heirat und die fehlende Trauer sind nicht moralisch integer. Sie machen sie trotzdem sympathisch.

 

Dass sie dem Mann, den sie liebt, aber die Stellung in New York versaut, die der gerade antreteten will und die für ihn geeignet wäre, ihm stattdessen in Atlanta eine verschafft, für die er gar nicht geeignet ist und unter der er leidet, ist nicht nur moralisch fragwürdig, das macht sie auch nicht sympathisch.

 

Gibt eine Vielzahl von Eigenschaften, die ineinander fließen, aber nicht identisch sind. Von moralisch integer über sympathisch bis hin zu faszinierend. Für mich ist das Letztere im Zweifelsfall das Entscheidende.

 

Eine Figur, die sympathisch ist, aber nicht faszinierend. wird im Roman Probleme haben, die Leser zu fesseln. Eine faszinierende, aber nicht sympathische kann dagegen durchaus einen Roman zum Erfolg werden lassen.

 

natürlich ist im Zweifelsfall sympathisch + faszinierend am besten. Aber im Zweifel würde ich immer für faszinierend als dem Wichtigsten plädieren. Das dürfte dem entsprechen, was Woody Allen als "unterhaltsam" bezeichnet.

 

Hans Peter

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Ich sehe in meinem teutonischen Drang, alles zu kategori- und katalogisieren zwei Arten von möglichen Protagonisten.

Vollkommen normale und höchst ungewöhnliche.

Die Normalen werden interessant, wenn ihnen etwas hochgradig Ungewöhnliches passiert. Hitchcock ist der Großmeister dieser Art Story.

Dann kann ich als Leser mit dem Normalo mitleben und ihn nachfühlen.

Die Ungewöhnlichen werden interessant, wenn sie ganz normale Dinge erleben, die sie aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit kaum zu meistern in der Lage sind. Der schon angesprochene Papa ante portas ist hier ein großartiges Beispiel.

Beide Konstellationen wecken das Interesse, weil sie jeweils einen Bezug zur Lebenswirklichkeit des Lesers haben, einmal durch den Protagonisten, das andere Mal durch die Situation.

Sympathie für die Figuren ist aber in keinem der Fälle zwingend ein Faktor.

Als Autor muss ich meine Protagonisten nur kennen und sie konsistent handeln lassen und auf jede mögliche Frage zu ihnen wenigstens andeutungsweise eine Antwort wissen.

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O, viel auf einmal.

Der (hoffentlich logischen) Reihe nach:

 

Kann es sein, dass wir über verschiedene Dinge sprechen bei dem Wort "sympathisch"?

 

hpr schreibt:

Gibt eine Vielzahl von Eigenschaften, die ineinander fließen, aber nicht identisch sind. Von moralisch integer über sympathisch bis hin zu faszinierend. Für mich ist das Letztere im Zweifelsfall das Entscheidende.

 

Meinem Dafürhalten nach sind "sympathisch" oder "unterhaltsam/faszinierend" keine "Eigenschaften", sondern Urteile, die der Rezipient/Leser/Zuseher über die Figur fällt.

 

Die Frage dazu, die ich am interessantesten finde, lautet: Warum fällt er das Urteil "sympathisch"? Weil die Figur Tiere schützt, alten Leuten über die Straße hilft und in allen Menschen nur das Gute sieht so wie die Melanie in "Vom Winde verweht", also moralisch integer ist? Kann sein mit hoher Wahrscheinlichkeit, muss aber nicht. Dass er sie faszinierend findet, ist nicht ganz so wahrscheinlich. Umgekehrt sind jede Menge Spitzbuben auf alle Fälle faszinierend, oft auch sympathisch. nicht obwohl sie sich nicht an Gesetze und Anstand halten, sondern wie sie das tun.

 

Melanie schreibt:

Ich kann unterhaltsame Figuren mögen. Sie müssen mir aber nicht sympathisch sein. Die Grenze ist fließend. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass der Autor seine Figuren mag - mit allen ihren Ecken und Kanten - und zu ihnen steht. Ob sie ihm nun sympathisch sind oder nicht.

 

Das habe ich nicht verstanden: Dir kann jemand sympathisch sein, den du nicht magst? Mir sind das Synonyme: Ich mag jemanden/etwas = Er/es ist mir sympathisch. Kannst du das vielleicht nochmal erklären?

 

Dorit, Susann und Claudia - da sehe ich einen Strang, der vielleicht (mir) zur Erleuchtung verhilft: Die Figur kennen, kennen, kennen, ja?

 

Claudia schreibt:

Woody Allen sagt in dem Interview auch, dass ihm eine Figur (die er ja wohl unterhaltsam findet) leid tut. Wenn schon Sympathie nicht das Hauptkriterium ist, dann ist zumindest Empathie im Spiel. ... Ohne Empathie passiert es dann wohl, dass man die Figuren vorführt und dann hört es ganz schnell auf, komisch zu sein

 

Ja, ich senke mein Haupt, das ist vollkommen wahr. Auch was du über den Spezialfall von Tragikomödie sagst. Das hatte ich so noch nie bedacht.

 

Susann schreibt:

Wenn der Leser oder die Zuschauerin, die alles Verständnis für diejenigen aufbringt, die sich vom Neurotiker abwenden, das Gefühl hat, dass der Neurotiker schlicht nicht aus seiner Haut kann, sich aber redlich bemüht, dann entsteht auch eine Sympathie für ihn.

 

Ja, sagt mir auch was. Das heißt ja Sympathie mal vom Wortsinn her: dass man mitleiden mag. Hättest du vielleicht noch ein Beispiel für dieses "redliche Bemühn"?

 

Dorit schreibt:

Ich hatte es also versäumt, die Figur von Anfang an so mehrschichtig aufzubauen, dass ihre Motivation deutlich wird.

 

Geht in die gleiche Richtung, oder?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Melanie schreibt:

Ich kann unterhaltsame Figuren mögen. Sie müssen mir aber nicht sympathisch sein. Die Grenze ist fließend. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass der Autor seine Figuren mag - mit allen ihren Ecken und Kanten - und zu ihnen steht. Ob sie ihm nun sympathisch sind oder nicht.

 

Das habe ich nicht verstanden: Dir kann jemand sympathisch sein, den du nicht magst? Mir sind das Synonyme: Ich mag jemanden/etwas = Er/es ist mir sympathisch. Kannst du das vielleicht nochmal erklären?

 

 

Nein, ich kann eine Romanfigur auch mögen, wenn sie mir nicht sympathisch ist, nicht umgekehrt. Das ist wichtig für die Aussage.

Wenn ich einen Roman lese und da taucht eine Nervensäge auf, dann kann ich trotzdem auf ihre Auftritte warten und mich daran erfreuen - nicht, weil sie mir sympathisch ist, sondern weil der Held sich an ihr reiben muss. So kann ich also auch meine Schurken oder Unsympathen mögen.

Ich glaube, es ist wichtig, dass ein Autor seine Figuren mag, denn nur, wenn er sie mag - ich meine jetzt jenseits von Sympathie oder Gefühlen, die man lebendigen Menschen entgegen bringt - kann er sie lebensnah und echt gestalten. Er muss die Figur in ihrer Funktion mögen.

 

Gruß, Melanie

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hpr schreibt:

Gibt eine Vielzahl von Eigenschaften, die ineinander fließen, aber nicht identisch sind. Von moralisch integer über sympathisch bis hin zu faszinierend. Für mich ist das Letztere im Zweifelsfall das Entscheidende.

 

Meinem Dafürhalten nach sind "sympathisch" oder "unterhaltsam/faszinierend" keine "Eigenschaften", sondern Urteile, die der Rezipient/Leser/Zuseher über die Figur fällt.

 

Die Frage dazu, die ich am interessantesten finde, lautet: Warum fällt er das Urteil "sympathisch"? Weil die Figur Tiere schützt, alten Leuten über die Straße hilft und in allen Menschen nur das Gute sieht so wie die Melanie in "Vom Winde verweht", also moralisch integer ist? Kann sein mit hoher Wahrscheinlichkeit, muss aber nicht. Dass er sie faszinierend findet, ist nicht ganz so wahrscheinlich. Umgekehrt sind jede Menge Spitzbuben auf alle Fälle faszinierend, oft auch sympathisch. nicht obwohl sie sich nicht an Gesetze und Anstand halten, sondern wie sie das tun.

Sicher gilt, dass ein Urteil: der ist sympathisch, der ist moralisch integer immer ein Urteil ist. Das kann sich in der Zeit ändern. IM 19 Jahrhundert war eine trauernde Witwe, die nicht tanzte, moralisch integer. Obwohl eine, die dann doch tanzte, na ja, das durfte sie nicht, aber ein bißchen sympathisch war das schon, eben weil es gegen die moralische Norm verstieß.

 

Interessant sind Figuren, die auch nach vielen Jahrzenten, Jahrhunderten, immer noch spannend sind. Obwohl sich die Moral geändert hat. Kapitän Ahab ist sicher nicht der Vorgesetzte, den wir uns wünschen, aber er fasziniert uns.

 

Hans Peter

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Du hast mich immer noch nicht ganz, Hans-Peter. Mir geht es auch nicht darum, dass Werte sich im Lauf der Zeiten wandeln. Sondern erst mal um einen ganz einfachen Gedanken: Du kannst über jemanden - lebendig oder fiktiv - sagen, dass er blond ist, dass er Schaschlik liebt, Angst vor Dackeln hat und sich in Debatten kein Blatt vor den Mund nimmt. Jetzt hast du ein paar Eigenschaften: natürliche Ausstattung, Geschmack, psychologische Eigentümlichkeiten und Temperament.

 

Aber wenn du über jemanden sagst, er sei "sympathisch", weiß ich doch nix über den. Alles was ich erfahren habe ist, dass DU ihn sympathisch findest. Wenn ich den Menschen zufällig auch noch kenne, habe ich damit etwas über DICH erfahren. Nicht über ihn.

 

Verstehst du jetzt?

 

Melanie, jetzt habe ich dich verstanden. Dann ist es aber auch wirklich was anderes. Eine Figur in ihrer Funktion zu lieben, ist was anderes als sie sympathisch zu finden. Oder doch nicht?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Eine Figur in ihrer Funktion zu lieben' date=' ist was anderes als sie sympathisch zu finden. [/quote']

 

Genau - deshalb kann man Figuren mögen, auch wenn sie nicht sympathisch sind. Ich mochte in der Robin-Hood-Verfilmung mit Erol Flynn die Figur von Guy Gisborne - der Mann war mir nicht sympathisch, aber ich mochte ihn. Vor allem in der Szene, als der Sheriff von Nottingham vorschlug, ein Bogenschützenturnier zu veranstalten, um Robin Hood zu fangen und Gisborne sagt: "Und Ihr glaubt wirklich, für diesen Unfug wird er seinen Hals riskieren?" Ich fand ihn viel cleverer als den Helden, ich mochte ihn - aber sympathisch war er mir trotzdem nicht und ich hatte auch kein Mitleid mit ihm, als er am Schluss von Robin Hood getötet wurde.

 

Gruß, Melanie

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Vielleicht vermischen wir gerade etwas, oder mir raucht nur gerade der Kopf: Es geht ja darum, ob der Autor/Autorin die Figuren sympathisch finden muss, nicht die Leser (?)

Wenn der Autor die Figur nicht unbedingt sympathisch, aber unterhaltend findet (im Sinne von faszinierend und vor allem in der Komik auch funktionstragend), betrachtet er sie vielleicht aus größerer Distanz. "Unterhaltsam" legt die Vermutung nahe, dass er sie vor sich agieren sehen und sich überraschen lassen kann. Woody Allen denkt da vielleicht als Regisseur, der Schauspielern Anweisungen gibt, ihnen ihre eigene Art zugesteht, sie auszuführen, aber trotzdem immer der Chef bleibt.

Ich habe früher immer das "man-muss-seine-Figuren-lieben-"Konzept verfolgt, hege aber inzwischen den Verdacht, dass ich ihnen viel zu eng auf der Pelle sitze. Und ihnen andererseits zu ausgeliefert bin. Das würde mit dem Regisseur-Konzept nicht passieren.

Aber das gehört in einen anderen Thread-den ich demnächst eröffnen werde, wenn ich meine Gedanken zu Thema Erzähler beisammen habe.

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Guten Morgen,

da man Helden und Bösewichte erschafft, kann man nicht alle seine Figuren lieben. Und das ist auch nicht nötig. Aber man sollte sich auf sie einlassen, sie studieren, beobachten, ihnen zuhören, ihre vielen Facetten kennenlernen und vor allem auch den Gegenpol in ihnen zu ihren eigentlichen Grundcharakter.

"Gib deinen Schurken etwas von deinen größten Vorzügen und deinen Helden etwas von deinen größten Schwächen", heißt es ja oft. Denn das macht sie lebendiger und glaubwürdiger (wobei natürlich weniger die wirklich eigenen Stärken und Schwächen gemeint sind ;)). Insofern hat Woody recht und das trifft auf jeden zu, der Figuren erschafft bzw. ihnen eine Bühne verleiht. Ich mag den Ausdruck des "Erschaffens" nicht so wirklich, weil ich persönlich ja von einer anderen Seite an meine Figuren herangehe. Ich lerne sie kennen und gewähre ihnen Entwicklungsspielraum. Kreiere sie nicht, sondern erlebe sie. Sie überraschen mich oft, handeln zuweilen ganz anders, als ich es erwartet habe, aber ich empfinde es dadurch so, dass sie authentischer wirken, was auch viele Leser immer wieder anmerken.

Also ja, die Figuren müssen unterhaltsam sein bzw. interessant. Da spielt es weniger eine Rolle, ob ich sie liebe oder hasse. Ich bin all meinen Figuren nah, auf die ein oder andere Weise. Aber ich liebe nicht alle von ihnen. ;D

 

Liebe Grüße

Tanya

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Ich glaube, es ist wichtig, dass ein Autor seine Figuren mag, denn nur, wenn er sie mag - ich meine jetzt jenseits von Sympathie oder Gefühlen, die man lebendigen Menschen entgegen bringt - kann er sie lebensnah und echt gestalten. Er muss die Figur in ihrer Funktion mögen.

 

Die Figur in ihrer Funktion mögen, das ist für mich der entscheidende Satz. Wenn man das als Autor tut, interessiert man sich für die Figur, stattet sie mit Einzelheiten aus, die sie dem Leser nahebringen, ihn faszinieren. Wenn der Autor die Figur weniger mag oder sie ihm gleichgültig ist, gibt er sich weniger Mühe, behandelt er sie auch liebloser. Sie wird flacher.

 

In meinem zweiten Roman wollte ich das klischeehafte Gut und Böse vermeiden. Alle Figuren haben ein wenig von beidem und sie geraten in einen mörderischen Konflikt miteinander, nicht weil sie gut oder böse sind, sondern weil jeder eigene Umstände und Zwänge hat, sein eigenes Ziel verfolgt.

 

Einer der Hauptantagonisten, ein machtbewusster Fürst, ist ein tapsiger Bär und hat einen leichten Sprachfehler, der ihn ärgert. Er ist nicht übermäßig klug, dazu ziemlich arrogant. Das Leben der kleinen Leute, über die er achtlos hinwegtrampelt, interessiert ihn nicht. Er ist ein schlechter Liebhaber, aber weil er sich in ein maliziöses Weib verknallt, tut er einem irgendwie leid. Seine wechselhaften Launen sind unterhaltsam. Er kann auch sehr verständnisvoll sein und hat plötzlich warmherzige Anwandlungen. Und am Ende, als er der Verlierer ist, zuckt er nur die Schultern und nimmt es philosophisch. Nach dem Motto: neue Karten, neues Glück.

 

Der Typ gefällt mir als Figur und ich habe vor, ihn in meiner nächsten Geschichte wieder auftreten zu lassen.

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Du hast mich immer noch nicht ganz, Hans-Peter. Mir geht es auch nicht darum, dass Werte sich im Lauf der Zeiten wandeln. Sondern erst mal um einen ganz einfachen Gedanken: Du kannst über jemanden - lebendig oder fiktiv - sagen, dass er blond ist, dass er Schaschlik liebt, Angst vor Dackeln hat und sich in Debatten kein Blatt vor den Mund nimmt. Jetzt hast du ein paar Eigenschaften: natürliche Ausstattung, Geschmack, psychologische Eigentümlichkeiten und Temperament.

 

Aber wenn du über jemanden sagst, er sei "sympathisch", weiß ich doch nix über den. Alles was ich erfahren habe ist, dass DU ihn sympathisch findest. Wenn ich den Menschen zufällig auch noch kenne, habe ich damit etwas über DICH erfahren. Nicht über ihn.

Jetzt weiß ich nicht, worauf du hinaus willst. Klar, "sympathisch", "liebenswert", "faszinierend" sind immer Werturteile, die oft mehr über den aussagen, der sie äußert, als über den, auf den sie bezogen werden.

 

Und was folgt daraus für uns? Dass ein Autor, der sagt, "Ich liebe meine Figuren" ein Werturteil abgibt, ebenso wenn er sagt: "Ich finde meine Figuren faszinierend". UNd weiter?

 

Hans Peter

 

PS: Übrigens sind die Urteile so individuell gar nicht. Zu gegebener Zeit haben Leser durchaus eine VOrstellung, wie jemand aussieht, der "sympathisch" ist oder "faszinierend". Wenn mir jemand sagt: "Ich finde den X sympathisch" ist das sicher ein individuelles Werturteil, dennoch habe ich sofort eine Vortstellung über X im Kopf.

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Wenn mir jemand sagt: "Ich finde den X sympathisch" ist das sicher ein individuelles Werturteil' date=' dennoch habe ich sofort eine Vortstellung über X im Kopf.[/quote']

 

Echt? Das würde mir nicht gelingen. Außer ich kenne den jemand sehr gut, der das sagt.

 

Wenn dieser jemand der Autor ist und dazu einer, der sich vorgenommen hat, seine Figuren sympathisch zu finden, dann muss  er aber ein weites Spektrum an Vorlieben haben. Je größer das Werk, desto schwieriger die Aufgabe  ;). Tanja sagt es:

 

da man Helden und Bösewichte erschafft, kann man nicht alle seine Figuren lieben.

 

Das, was du sagst, Claudia,

Wenn der Autor die Figur nicht unbedingt sympathisch, aber unterhaltend findet (im Sinne von faszinierend und vor allem in der Komik auch funktionstragend), betrachtet er sie vielleicht aus größerer Distanz. "Unterhaltsam" legt die Vermutung nahe, dass er sie vor sich agieren sehen und sich überraschen lassen kann. Woody Allen denkt da vielleicht als Regisseur, der Schauspielern Anweisungen gibt, ihnen ihre eigene Art zugesteht, sie auszuführen, aber trotzdem immer der Chef bleibt.

 

legt mir gerade eine Spur. Ja, wahrscheinlich geht Allen von so einer Vorstellung aus. Und ist das nicht eine interessante Vorgehensweise - der Autor als Regisseur? Mit Distanz, einer lockeren Leine zu den Figuren und der Autorität des Chefs? Und du glaubst, das ist typisch für Humoristen?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Ja, der Autor als Regisseur, das erscheint mir auch interessant- und verlockend. Verlockend souverän vor allem. Vielleicht ist es typisch für Humoristen, die evtl mehr in Situationen denken (müssen). Der amerikanische Komiker Seinfeld sagt z.b.: "Ich nehme eine reale Situation, die andere Leute nicht als amüsant empfinden, und zeige deren komische Seite. Mein Job besteht also darin, eine Wirklichkeit wahrzunehmen, die die anderen nicht erkennen."

Ob die Figuren in der Situation ihm dann noch sympathisch sind-who cares....

 

Bei Cartoonisten bin ich immer erstaunt, dass die verdichtete Situation im Bild eine ganze Geschichte erzählen kann, übrigens auch mit Figuren, die zumindest dem Betrachter nicht sympathisch sind (was immer der Zeichner für sie empfand) und wie schnell man glaubt, "alles" über die dargestellte Figur zu wissen (oder über das Tier, bei Wächter und Gernhardt).

 

Interessant wäre, wie sich diese Herangehensweise auf die "große Form" übertragen lässt...

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Der amerikanische Komiker Seinfeld sagt z.b.: "Ich nehme eine reale Situation, die andere Leute nicht als amüsant empfinden, und zeige deren komische Seite. Mein Job besteht also darin, eine Wirklichkeit wahrzunehmen, die die anderen nicht erkennen."

Ob die Figuren in der Situation ihm dann noch sympathisch sind-who cares....

 

Ich. Also, ich wollte es einfach gern wissen.

 

Und da du die Rede auf Wächter und Gernhardt bringst: Mögen die im Spott ihre Figuren? Ich glaube, schon. Nicht gerade auf juchzende Art, aber so eine gewisse Milde ist spürbar.

 

Interessant wäre, wie sich diese Herangehensweise auf die "große Form" übertragen lässt...

 

Also bei den angesprochenen Herrschaften ist das schwer zu sagen. Gernhardt hat KGs geschrieben und ein kleines Drama. Henscheid hat eine Romantrilogie verfasst. Das erste Buch - "Vollidioten" - ist wunderbar, aber auch recht kurz. Die beiden Folgebücher fand ich schwach. Das ist nur mein Urteil, und sollte es irgendeine Objektivität haben, kann es dafür andere Gründe geben. Trotzdem - Witze sind ja auch immer kurz ...

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Woody Allen hat, finde ich, shr gut erklärt, worauf es bei einer "unterhaltsamen" Figur ankommt:

 

"Ich überlege eigentlich nie, ob ich sie mag, sondern nur, ob ich sie unterhaltsam finde. In diesem Film tut mir Antony Hopkins' Figur leid, der arme Kerl, der ausgenommen wird, und die Figur von Josh Brolin - ein vielversprechender Autor, und dann bekommt er nie wieder etwas auf die Reihe."

 

Er hat als Autor/Regisseur Mitleid mit diesen beiden Figuren. Claudia hat von Empathie gesprochen, zu der die Figur auffordert. Das ist, denke ich, das Entscheidende. Anders als im wahren Leben sind uns Figuren nicht allein deshalb sympathisch, weil sie z. B. unser Wertesystem teilen oder den gleichen Humor haben oder weil "die Chemie stimmt". Die Figur muss nicht nett sein. Aber sie sollte uns dazu herausfordern, mit ihr zu fühlen. Zumindest für die Dauer eines Romans sollen wir uns mit ihr identifizieren, vielleicht sogar in ihre Haut schlüpfen. Mitleid ist eine Möglichkeit, diese emotionale Brücke zu schlagen. Faszination eine andere.

 

Um eine problematische Figur dem Leser emotional nahezubringen, kann man sich vorstellen, wie ihr selbst Unrecht widerfahren ist; oder wie sie noch ein völlig ohnmächtiges und ausgeliefertes Kind war.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Ich habe mir immer vorgestellt, dass F.K. Wächter das angeberische Murmeltier, das auf seiner Zeichnung aus seinem Loch guckt und sich "just die ganze Welt als Rollkragenpullover ausgesucht hat", sehr gemocht hat...auch wenn die schönen Rehe, die im Vordergrund zu sehen sind, den Anblick dieses Protzers kaum ertragen. Wie Andreas sagt: Hier ist das Unrecht, das dem armen Kerl durch dauernde frühere Nichtbeachtung widerfahren ist, fast mit den Händen zu greifen und macht die Identifikation möglich.

 

Zur großen Form: Ich meinte damit nicht das Komische, das sich auch meiner Meinung nach in kurzen Formen am besten äußert (kenne auch keinen Komiker, der ein großer Romanautor ist), sondern diesen Blick des Regisseurs.

 

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Claudia hat von Empathie gesprochen' date=' zu der die Figur auffordert. Das ist, denke ich, das Entscheidende. Anders als im wahren Leben sind uns Figuren nicht allein deshalb sympathisch, weil sie z. B. unser Wertesystem teilen oder den gleichen Humor haben oder weil "die Chemie stimmt". Die Figur muss nicht nett sein.[/quote']

Das ist meiner Meinung nach ganz, ganz wichtig. Viele Autoren gehen davon aus, dass ihre Figuren sympathisch, nett sein müssen, damit sich die Leser damit identifizieren. Und schaffen dann nette Langweiler und was gibt es schlimmeres?

 

Wenn ich dann vorschlage, den X doch mal richtig böses tun zu lassen, schrecken sie zurück, weil, wer wird sich dann mit dem identifizieren? Sysai hat das hier mal am Beispiel ihrer "Wanderhure" erzählt, von der der Vertriebschef dachte, sie wird floppen, wer will sich schon mit einer Hure ...

 

Angelika ich hatte auch erst gedacht, "sympathisch" sei ein sehr individueller Begriff. Jetzt, wo ich darüber nachgedacht habe, glaube ich das nicht mehr. Mit "sympathisch" werden meiner Meinung nach Leute bezeichnet, die "nett" sind, nicht egoistisch, die alten Frauen über die Straße helfen und dich immer freundlich grüßen. Im Englischen gibt es dafür den schönen Ausdruck: "Everybodys Darling". Und wer als sympathisch gilt, das ist gar nicht so unterschiedlich bei den Leuten.

 

Wenn du morgens die alte Oma, statt ihr über die Straße zu helfen, anfauchst:

 

"Jeden Morgen stehen sie hier und warten, dass ich sie über die Straße geleite. Ich hasse alte Schachteln! Schaun sie doch, wie sie über die Straße kommen! Vielleicht überfährt sie jemand, dann muss ich sie nie mehr ansehen" da dürften die Sympathiepunkte ziemlich in den Keller rutschen ;-).

 

Scarlett ist egoistisch, geht über Leichen, ist sicher nicht sympathisch oder gar everybodys darling. Aber gerade deshalb ist sie so faszinierend.

 

Hans Peter

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Hoch Interessant!

 

Woody Allen ist sehr erfolgreich mit seinen Filmen.

 

Ich denke da an Match Point und überlege, wie er es schafft, seinen Hauptprotagonisten unterhaltsam zu finden.

 

Ein Mann, der sich an eine Frau wirft, weil er seinen sozialen Stand verbessern will, nebenbei mit der beinahe Schwägerin schläft, sie schwängert und dann unbringt, weil sie seinen neuen sozialen Status gefährdet, dazu noch eine unschuldige Nachbarin erschießt, um die Polizei abzulenken...usw.

 

Wir finden all seine Schwächen - in gedämpfter Form natürlich - in uns wieder, wie seinen Kampf um eine bessere soziale Stellung, oberflächlich vor den anderen gut dazustehen ist uns oft wichtig, und auf der anderen Seite fasziniert uns sein unverschämtes Glück, ungeschoren davonzukommen. Als wir Kinder waren, wurde uns gesagt: Tue Gutes, und du wirst belohnt! Ha! Von wegen! Das Leben spielt oft anders:

 

Seine Frau liebt ihn, merkt kaum etwas von seiner Nebenbei-Affäre, der Schwiegervater gibt ihm die bestbezahlten Jobs. Ein Zufall hilft ihm, und er kommt mit dem Doppelmord davon. Am Ende schenkt ihm seine Frau eine entzückendes Kind.

 

Der Anziehungskraft  böser Typen, denen das Glück hilft, können wir uns eben nicht entziehen.

 

Ist nur so ein ergänzender Gedanke von mir,

 

mlG

Christine

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