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Andrea S.

gebrochene Helden

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Pantoufle, der Kater zur See wurde als junges Kätzchen von einer Raubmöwe gekapert und beinahe wäre das sein Ende gewesen. Für mich eine Verletzung und sie hat Folgen in der Geschichte des gleichnamigen Romans.

 

Andrea, du hast damals gepostet, dass für dich der Kater ein ganz normaler "Mensch" ist, also keine gebrochene Figur. "Gebrochen" würde ich ihn auch nicht bezeichnen, verletzt aber schon. Weil das ein einschneidendes Ereignis ist, dass den Helden bestimmt und in der Geschichte wieder auftaucht - und am Schluss überwindet der "Schisserkater" seine Angst vor Raubmöwen, wird zum Helden der Geschichte.

 

Aber die Geschichte wird dadurch in Gang gesetzt, dass das Haus, in dem er lebt, bei einer Sturmflut ins Meer gespült wird. Nicht durch seine Angst vor Möwen. Das ist eine zweite Ebene.

 

Ich wiederhole es einfach nochmal und nochmal: Figuren müssen eine interessante Vergangenheit haben.

Sie müssen nicht gebrochen/verletzt sein, sondern was immer sie erlebt haben, können sie bewältigt haben und damit durchaus glücklich sein. Das hindert sie nicht daran, Abentuer zu erleben.

 

Auch ausgeglichene Menschen erleben tolle Abenteuer. Vielleicht genießen sie sie ja sogar :) Zusammen mit ihren Lesern.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Sie müssen nicht gebrochen/verletzt sein, sondern was immer sie erlebt haben, können sie bewältigt haben und damit durchaus glücklich sein. Das hindert sie nicht daran, Abentuer zu erleben.

Sicher können sie. Aber es ist spannender, wenn sie das, was sie erlebt haben, erst in der Geschichte richtig verarbeiten und überwinden.

 

Wenn Pantoufle am Anfang kein "Schissekater" wäre, würde die Geschichte viel Spannung verlieren.

 

Hans Peter

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Auch die, die nicht über sich hinauswachsen, können gute Figuren für einen Roman abgeben. Allerdings nicht als Helden.

 

Ich habe gerade einen Maigret gelesen. Ein Zahnarzt, dessen Frau ermordet aufgefunden wurde, sie hat sich, stellt sich heraus, gerade von ihm trennen wollen. Der Zahnarzt gerät natürlich sofort in Verdacht. Er lebt mit seiner Mutter in einem Haus, das schon lange der Familie gehört.

 

Am Anfang erfahren wir zum erstenmal etwas über ihn durch den Wirt der Eckkneipe. Der erzählt, dass der Mann jeden Abend kurz kommt, ein oder zwei Gläser Wein trinkt, aber nie mehr. Und der Wirt hat den Eindruck, dass er sich immer, bevor er das Glas ansetzt, umblickt, als wolle er sicherstellen, dass er nicht beobachtet wird.

 

Im Laute der Geschichte stellt sich die Mutter als ziemliche Tyrannin heraus, die auch die Frau erst vertrieben, dann ermordet hat. Sie wird verhaftet und wird wegen Mordes erhängt werden (Der Roman spielt ende der vierziger Jahre).

 

Der Roman endet damit, dass der Zahnarzt in die Kneipe kommt, ein Glas Wein bestellt, wieder kurz umguckt und das Glas trinkt.

 

Hans Peter

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Gebrochene Helden sind keine (vorübergehende) Modeerscheinung, sondern eine inzwischen zur Konvention gewordene Erfindung des 20. Jahrhundert. So sieht das jedenfalls Michaela Krützen in "Dramaturgie des Films", S.30 ff. Sie nennt das Phänomen "Die Backstorywound", d.h. ein unverarbeitetes Erlebnis in der Vorgeschichte einer Figur. Sie soll das Verhalten einer Figur verständlich machen, soll sie motivieren. Krützen erklärt die Psychologisierung mit der Entwicklung der Psychoanalyse und ihrer Verbreitung in popularisierter Form in den Medien.

Und Traumata in der Vergangenheit sind ein gutes Mittel, außergewöhnliches Verhalten einer Figur zu begründen. Warum wird jemand z.B. Polizist, Leibwächter oder Feuerwehrmann und setzt sein Leben weit über das Erforderliche aufs Spiel? Ein Junge will etwa Feuerwehrmann werden, weil er den Tod seines Vaters bei einem Einsatz mit ansehen musste (BACKDRAFT). In THE LINE OF FIRE will der eigentlich pensionsreife Leibwächter es nochmal unter Einsatz seines Lebens wissen, weil er das Attentat auf John F. Kennedy nicht hat verhindern können.

So ganz neu ist der gebrochene Held bzw. der mit einer Backstorywound versehene Held nicht. Krützen hat Filmklassiker wie CASABLANCA und CITIZEN KANE analysiert und dort ebenfalls Backstorywounds gefunden.

 

Beste Grüße

Patrick

"Ich habe nicht geschossen, nur ein bisschen- Absurde Ausreden vor Gericht", Ullstein 2018

"Justiz am Abgrund - Ein Richter klagt an", Langen-Müller 2018

"Jurafakten - Verbotene Süßigkeiten, erlaubte Morde und andere Kuriositäten aus Recht und Gesetz", Ullstein 2019

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Man kann, wenn man sich mit erfolgreichen Romanfiguren beschäftigt, in jedem Helden diese Backstorywound finden. Ganz gleich, ob die Autoren es bewusst oder unbewusst machten, zu einer kompletten Figur gehört eine Geschichte und die kann man natürlich aufdröseln und dann psychodynamisch oder auch analytisch deuten.

 

Gruß, Melanie

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Bei Heathcliff wäre diese Analyse auch sehr interessant ... (Wuthering Heights, Emily Brontë)

Liebe Grüße, Susanne

 

"Books! The best weapons in the world!" (The Doctor)

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Jeder Held, der was auf sich hält, hat eine bewegte Vergangenheit.

 

Wie weit die aber die Story bestimmt, das ist die Frage.

Meine Vermutung war, dass eben diese Vergangenheit sich mehr und mehr - manchmal zu Lasten der eigentlichen Handlung - in den Vordergrund drängt.

 

Sicher hat dazu auch das vermehrte psychologische Wissen der Autoren dazu beigetragen.

 

Weshalb ich noch immer von Modeerscheinung ausgehe. Ich kann da verbissen sein :s22.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Meine Vermutung war, dass eben diese Vergangenheit sich mehr und mehr - manchmal zu Lasten der eigentlichen Handlung - in den Vordergrund drängt.

[...]

Weshalb ich noch immer von Modeerscheinung ausgehe.

Was die Verletzung "um jeden Preis" angeht, hast du sicher recht. Da versucht mancher seine Story damit aufzuhübschen, dass er Verletzungen an den Haaren herbeizieht.

 

Aber Patrick, du hast recht, "Casablanca" und "Citizen Kane" sind Paradebeispiele von Verletzungen, die die Geschichte bestimmen - der Ausgang ist entweder, dass der Held sie überwindet (Casablanca) oder nie begreift, was ihm fehlt (Citizen Kane).

 

Casablanca hat eigentlich kein Happy End von der Liebesgeschichte her. Rick bekommt nicht die Frau die er liebt. Aber er überwindet die Verletzung, die ihn hart und zynisch gemacht hat. Also doch Happy End,. Ohne die Verletzung würde der ganze Film nicht funktionieren. Da ist sie sehr sehr gut in die politische Story eingebettet, da greifen äußere Handlung und innere Wandlung direkt ineinander und es passt.

 

Ein Rick, der aber nur in seiner Bar säße und zynisch Whisky schlürfte, während der Autor erklärt, dass sein Held eben eine furchtbare Vergangenheit hat, wäre das abschreckende Gegenbeispiel.

 

Hans Peter

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Eine Modererscheinung sind sicher die Kommissare, die sich mehr mit ihren privaten Problemen herumplagen als mit ihren Fällen. Da lob’ ich mir doch Typen wie Philipp Marlowe, die ihre Narben mit Würde tragen.

 

Mascha

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Der gebrochene Held ist für mich nicht wirklich eine Modeerscheinung. Er ist, wenn man so will, sogar ein Archetyp auf gewisse Weise: die "Lost Soul", die verlorene Seele.

Und warum sie auftaucht oder jetzt immer mehr, ist ja für uns alle leicht ersichtlich: Das macht gleich eine Dimension mehr aus. Ich mag nur nicht, wenn mir die schlechte Kindheit oder die verlorene Familie auf dem Silbertablett (die Amis sagen dazu "on the nose") verkauft werden.

 

Zu meinen liebsten "Lost Souls" gehören übrigens Dr. House und der Berater in "The Mentalist" - ziemlich unterschiedlich und doch ständig zynisch oder scheinbar sonnig aus ihrem Knacks heraus handelnd.

 

LG

 

Kathrin

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Jeder Held, der was auf sich hält, hat eine bewegte Vergangenheit.

 

Wie weit die aber die Story bestimmt, das ist die Frage.

Meine Vermutung war, dass eben diese Vergangenheit sich mehr und mehr - manchmal zu Lasten der eigentlichen Handlung - in den Vordergrund drängt.

 

Sicher hat dazu auch das vermehrte psychologische Wissen der Autoren dazu beigetragen.

 

Weshalb ich noch immer von Modeerscheinung ausgehe. Ich kann da verbissen sein  :s22.

 

Andrea

 

Ich stimme dir zu. Natürlich tragen traumatische Erlebnisse zur Charakterbildung bei, erzeugen vielleicht Neurosen und besondere Macken. Das kann in einer jeweiligen Geschichte gut sein, der Auslöser für Handlungen der Protas, Aber es ist nicht so, dass man das haben MUSS, um Tiefgang zu erzeugen oder eine gute Geschichte zu schreiben.

 

Wie schon erwähnt, sind die Protas meines zweiten Romans 15 und 18 Jahre alt, Traumas haben sie nicht hinter sich, im Gegenteil, sie sind jung, noch ungezeichnet vom Leben, etwas naiv, haben ihre noch undefinierten Vorstellungen über die Welt und sind auch ein wenig rebellisch, überschätzen sich. Aber das macht sie sympathisch. Und sie finden sich plötzlich im handfesten Konflikt mit der erwachsenen, der etablierten Welt, den Mächtigen des Landes. Sie sind in Gefahr und auf der Flucht. Dieser Konflikt ist m.E. schon spannend genug. Da brauchte ich keine gebrochenen Helden. Wenn es welche gibt, sind die eher bei der Opposition zu finden.

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Wie schon erwähnt' date=' sind die Protas meines zweiten Romans 15 und 18 Jahre alt, Traumas haben sie nicht hinter sich, im Gegenteil, sie sind jung, noch ungezeichnet vom Leben, etwas naiv, haben ihre noch undefinierten Vorstellungen über die Welt und sind auch ein wenig rebellisch, überschätzen sich.[/quote']

Macken oder Probleme der Helden können die gleiche Funktion wie Verletzungen haben. Sie behindern den Helden, bringen ihn in Schwierigkeiten und geben ihm Gelegenheit in der Geschichte daran zu wachsen. Helden, die sich überschätzen, werden irgendwann rauh auf dem Boden der Tatsachen aufknallen - und lernen selbstkritischer zu werden.

 

Denn Mode hin oder her: So schlimm es ist, wenn Verletzungen einfach aufgesetzt werden: Verletzungen oder Macken, die die Geschichte bestimmen und den Helden über sich hinauswachsen lassen, können den Unterschied zwischen einer ganz guten Geschichte ausmachen und einer, die im Gedächtnis bleibt.

 

Ich habe gerade nochmal den Anfang von Pantoufle gelesen. Und der Schiss des Katers zusammen mit dem Willen, dennoch tapfer zu sein, macht einen wesentlichen Reiz des Buches aus. Hätte der Kater schon vor der Geschichte seine Angst vor Möwen überwunden, wäre er mir kaum so in Erinnerung geblieben.

 

Hans Peter

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Ich habe gerade nochmal den Anfang von Pantoufle gelesen. Und der Schiss des Katers zusammen mit dem Willen, dennoch tapfer zu sein, macht einen wesentlichen Reiz des Buches aus. Hätte der Kater schon vor der Geschichte seine Angst vor Möwen überwunden, wäre er mir kaum so in Erinnerung geblieben.

 

gngngn ...

Es ist ja lieb, dass Du meinen kleinen Schisserkater immer als Beispiel heranziehst, um mich mit meinem eigenen Werk zu widerlegen. Aber kennst Du auch Mirza, die Klosterkatze? Die hat keine Backstorywound, ist keine verlorene Seele, sondern eine rotzfreche Gestalt, die allerlei Unsauberes im Kloster aufklärt.

 

So, genug der Eigenwerbung. Heldenmacken können, müssen aber nicht, die Geschichte bestimmen. Aus einer schlecht komponierten Handlung und einen unglaubwürdigen Plot wird auch durch einen Protagonisten, der eine schlimme Kindheit, eine gescheiterte Beziehung, eine drückende Schuld oder was auch immer für ein Trauma durchlebt hat, KEINE besser Geschichte.

Eher eine schlechtere.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Aus einer schlecht komponierten Handlung und einen unglaubwürdigen Plot wird auch durch einen Protagonisten' date=' der eine schlimme Kindheit, eine gescheiterte Beziehung, eine drückende Schuld oder was auch immer für ein Trauma durchlebt hat, KEINE besser Geschichte.[/quote']

Das unterschreibe ich dir sofort.

 

Aber aus einer Geschichte, in der die Macke oder Verletzung keine Rolle spielt, wird eine bessere Geschichte, wenn man eine Macke oder Verletzung in die Geschichte integrieren kann. Wohlgemerkt, die Betonung liegt auf: Integrieren.

 

Andrea, du siehst, ich kann auch verbissen sein ;-).

 

Manchmal muss die nicht mal der Held haben. Maigret ist kein sehr eindrücklicher Kommisar, er wandelt sich nicht und mir ist keine Macke aufgefallen. Aber er kann sehr eindrücklich Personen zum Leben erwechen, mit ihren Macken und Verletzungen.,

 

Hans Peter

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Andrea. du bist nicht die einzige, die die merkwürdige anhäufung gebrochener Helden bemerkt.

 

Ich lese gerade "Nörgeln" von Eric T Hansen, einem Amerikaner, der nach Deutschland auswanderte und die Deutschen für die Weltmeister in der sinn- und gemeinschaftsstiftenden Kunst des Nörgelns hält:

 

"Seit der erste Germane schreiben gelernt hat, wird in der deutschen Hochkultur gelitten, was das Zeug hält."

 

Vielleicht gibt es aber auch einen anderen Grund für die Zunahme des Brechungsindex? Wenn ich mir alte Kommisare ansehe, deren Alkoholkonsum war mindestens so hoch wie der der heutigen. Maigret verbrauchte ein Glas Wein pro Stunde, im Dienst wohlgemerkt und andere waren nicht sparsamer. Nur hat das niemand für bedenklich gehalten, keine Alkoholbeauftragte der Polizei tauchte auf und bot dem Autor die Möglichkeit, zwanzig Seiten lang die unglückliche Kindheit des Ermittlers zu ermitteln und so wehleidig über die arme gebrochene Figur herzuschreiben, dass der Leser mindestens drei Cognacs braucht, das Lamento zu ertragen.

 

Ein Trauma, das niemand als Trauma wahrnimmt, ist eben kein Trauma.

 

Hans Peter, der immer noch nicht verdaut hat, dass er mit zehn seinen Daumen ganz bös verletzte, als er mit seinem ersten Rad so furchtbar gestürzt ist

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Hach, Hans Peter, dass Du mir einen Gleichgesinnten zur Seite stellst ...

 

Da puste ich doch gleich mal auf den schlimmen Daumen http://smilies.montsegur.de/03.gif

 

Aber das Dumme ist, dass eben nicht nur in der Hochliteratur gelitten wird, eben zunehmend wird auch Unterhaltung durchjammert.

 

Doch nun genug der Klagen!

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Kennt ihr das geflügelte Wort unter Psychotherapeuten:

Lerne klagen ohne zu leiden.

Sind übrigens auch "Mode-Leiden" aufgefallen? Oder bleibt es beim üblichen Suff und Scheidungskrieg der gebrochenen Helden?

Oder haben wir als neues Leiden jetzt den sexuellen Missbrauch des Helden durch den Pfarrer im Angebot?

 

Mich würde zu dem Thema mal interessieren, ob es da auch Moderichtungen gibt - wie wird ein Held zu welcher Zeit gebrochen? Und gibt es zeitloses Zerbrechen?

 

Gruß, Melanie

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