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(Gina)

Mary E. Pearson: Zweiunddieselbe

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Im letzten Jahr hatte ich vor der Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises keinen einzigen der nominierten Titel in der Kategorie Jugendbuch gelesen und konnte demzufolge nicht richtig mitreden – eine Situation, die mir generell missfällt. Dieses Jahr, das hab ich mir geschworen, wird das nicht mehr passieren. Alle nominierten Jugendbuchtitel werd ich wohl nicht schaffen, aber einige doch - und mit Mary E. Pearsons „Zweiunddieselbe“ hab ich angefangen.

 

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Die siebzehnjährige Jenna Fox erwacht aus dem Koma, offensichtlich hat sie einen schweren Unfall gehabt, an den sie sich allerdings nicht mehr erinnern kann. Genauso wenig wie an den Rest ihres Lebens. Ihre Mutter und ihre Großmutter, die gerade mit ihr von der Ostküste nach Kalifornien gezogen sind, sind ihr ebenso fremd wie ihr Vater, der als Biochemiker in einem Unternehmen in Boston arbeitet. Wenn man sehr aufmerksam liest, merkt man schnell, dass das Buch nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft spielt. Mich haben die Andeu-tungen irritiert, aber dass der Roman ein Science Fiction ist, habe ich erst an der Stelle gemerkt, als Jenna auf dem Friedhof vor einem alten Grabstein steht. Der Tote ist 1835 verstorben – und damit schon zweihundert Jahre tot, stellt sie fest. Aha.

 

Irgendwas stimmt nicht mit Jenna, das merkt der Leser schon vorher. Sie erinnert sich plötzlich an immer mehr Details aus ihrer Vergangenheit. An ihre eigene Taufe und an die Zeit im Mutterleib. Daran, dass sie sich früher gut mit ihrer Großmutter verstanden hat, aber jetzt scheint die alte Frau sie abzulehnen. Als Jenna sich verletzt, entdeckt sie ihr eigenes innerstes Geheimnis – sie ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern besteht aus einer künstlichen Biomasse.

 

Wenn man sie so nacherzählt, klingt die Geschichte recht platt und konventionell, aber das ist sie nicht. Denn Mary E. Pearson verzichtet auf pseudowissenschaftliche Erklärungsversuche und konzentriert sich stattdessen auf Jennas Innenleben. Auf den Konflikt, den die Erkenntnis in ihr auslöst, dass sie kein richtiger Mensch ist, sondern ein wissenschaftliches Wunderwerk. Ein Freak, wie einer ihrer neuen Klassenkameraden sie nennt.

„You are one hundred percent human“, sagt ihr Vater einmal zu ihr. (Ich hab das Buch wieder mal auf Englisch gelesen, jetzt kommt´s raus)

„How can you be sure?“, fragt Jenna zurück. „What about a soul, Father? When you were so busy implating all your neural chips, did you think about that? Did you snip my soul from my old body, too? Where did you put it?“

 

Der Vater weiß darauf keine Antwort, genauso wenig wie Jenna selbst oder der Leser. Mich hat das Buch in seiner düsteren Ausweglosigkeit bis in den Schlaf verfolgt. Diese gruselige Vorstellung, dass die Ich-Erzählerin Jenna keine innere Zuflucht, keinen Rückzugsort hat, weil sie sich ihrer eigenen Identität nicht sicher sein kann.

 

Schade, dass die Autorin auf den letzten Seiten dann offensichtlich der Mut verlassen hat. Der Roman endet mit einem seltsamen Happy End, das mich sehr irritiert hat. Ich kann das an dieser Stelle natürlich nicht weiter ausführen, weil ich keinem die Spannung nehmen will, aber meinem Gefühl nach wischt die Autorin am Schluss alle Zweifel und inneren Konflikte weg.

 

„Everyone has to die eventually“, sagt Jenna einmal.

„No more“ antwortet ihr Vater.

Das ist die Aussage, die für mich stehen bleibt. Und die vielen neuen Fragen und Abgründe, die sich dadurch auftun.

 

 

Mary E. Pearson, „Zweiunddieselbe“

Fischer Schatzinsel, 2009

ISBN-978-3596853373

Gebunden, 336 Seiten, 14,95 EUR

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