Zum Inhalt springen
(JudithR)

Axolotl Roadkill - Helene Hegemann

Empfohlene Beiträge

http://ws-eu.amazon-adsystem.com/widgets/q?_encoding=UTF8&ASIN=3550087926&Format=_SL250_&ID=AsinImage&MarketPlace=DE&ServiceVersion=20070822&WS=1&tag=andreaswilh09-21http://ir-de.amazon-adsystem.com/e/ir?t=andreaswilh09-21&l=as2&o=3&a=3550087926

 

Gleich vorweg, Axolotl Roadkill ist auf gewisse Weise ein nettes Buch, eines von denen,mit dem man zwei Stunden voller Voyerismus in der Sonne gesessen hat, um es dann gleich wieder zu vergessen. Aber bei näherer Betrachtung erweist sich auch, dass es eben nicht mehr ist, oder doch gerade vielmehr: ein zu früh geschriebenes Buch und damit eine vergebene Chance.

 

Auf den Text geschaut:

 

Wie rebelliert man gegen Großeltern, die die sexuelle Befreiung vorantrieben und sich in Barbarella wiederfanden, gegen Eltern, die als Punks die Städte unsicher machten, als Yuppies bewiesen, dass Drogen und Bürgerlichkeit kein Widerspruch sein müssen, oder sich durch Wolfenstein schossen, als Egoshooter noch nicht Egoschooter hießen? Wie finden sich Tabus, die noch zu brechen wären nach Naked Luch, den Sieben Samurai und Tokio Decadence?

 

Eben ... gar nicht. Was bleibt ist Übertreibung, immer noch ein Schäufelchen mehr, Gewalt, Sex, Adjektive. Und Rückwärtswendung. Nein, nicht der Blick auf die Vorbilder, sondern dahingehend, dass man die Heldin so jung macht wie irgend möglich, um überhaupt noch einen Tabubruch zu erreichen. Mifti ist fünfzehn oder vielleicht sogar sechzehn (was die Vernachlässigung der strafrechtlichen Relevanz der Liebesbeziehung als Spannungselement erklären könnte) und sie lebt in Berlin. Ah ja, natürlich Berlin, wo sonst tobt in Deutschland der Bär? Wir folgen ihr durch ein paar Tage ihres Lebens, eine Reise, die zugegebenermaßen tatsächlich in einer Art Höhepunkt endet, allerdings ohne, dass die Heldin selbst jemals in ihrem Selbstleid gefährdet wäre, oder ihre Manipulationen scheitern. Insofern kann nicht nachvollziehen, das man das Buch als unlesbar kennzeichnet, den roten Faden vermisst. Das alles ist da. Man muss es eben ausgraben, und wenn man das tut, dann bleibt ein einzügiger, schlicht gestrickter Plot übrig, der mit ein paar Rückblenden ohne Umwege (oder Vorbereitung) auf das Ende zusteuert.

 

Schlimmer noch, hinter all dem Leid, das da auf die Figur gehäuft wird, wie man es sonst nur aus den totured heroes der Liebesgeschichten kennt, verbirgt sich eine Allmachtsphantasie, wie sie nur Teenager haben können (und was das einzige ist, worum Erwachsene sie beneiden): Egal, was ich tue, egal, wie sehr ihr mich anstarrt, mein Leid genießt, ich hab euch in der Hand, ihr tanzt nach meiner Pfeife und ich komme damit durch. Immer. Überall. Selbst Psychologen haben keine Chance. Und immer da, wo der Plot diese Allmacht eigentlich gefährdet, wie in dem Moment, wo sich einer aus der furchtbaren P-Zunft weigert, mit Mifti über Heidegger zu diskutieren, weicht die Geschichte mit leicht durchschaubaren Stilmittel einer möglichen Niederlage aus.

 

Rein dramaturgisch eine Katastrophe, denn Mifti ändert sich ja am Ende, stellt sich scheinbar Erinnerungen, die ihr Verhalten psychologisieren könnten, doch vorbereitet ist dieser Sinneswandel nicht. Er fällt vom Himmel, wie so vieles in dem Buch, purer Spiegel des menschlichen Gehirns, das in der Pubertät durchgerüttelt von Hormonen kaum in der Lage ist, die Dinge am zweiten Tag zu sehen, wie es am ersten Tag noch als absolute Wahrheit erschien. Ja, das leistet die Geschichte tatsächlich, aber für mich bleibt das alles an der Oberfläche, jeder ironische Blick auf Mifti selbst fehlt, ebenso wie jede Reflexion.

 

Lustig, das zu schreiben über ein Buch, in dem das Wort so oft vorkommt, und über eine Heldin, die sich ständig selbst betrachtet. Nur eben nicht aus einem Abstand heraus, der die gesamte Handlung in einen Rahmen setzen kann, sondern vom zweiten Tag aus. Von der komplett anderen Sicht aus, die kaum ein paar Stunden konstant bleibt.

 

Das gilt auch für die Sprache, mit der Text arbeitet, hier mal ein Anfall von Adjektivitis, da mal ein paar Sätze hochintellektuelle Konstruktion, die sich - auf den Kern reduziert - oft genug zu »Scheißgeschwafel« zusammenfassen ließen, was in den Duktus der Fäzies-Komposita passte, der auch nicht wirklich neu ist und schon gar nicht provokant.

 

Da, wo der Text mich erreichte, war er gemixt. Das ist kein Wunder, es gibt nämlich nichts, an das ich wirklich so wenig erinnert werden möchte, wie an das altkluge, über-belesene Gör, das ich damals war. Nein, keine Drogen außer Alkohol (wer bei THC niesen muss wie ein Drogenspürhund ist relativ ungefährdet und Nikotin kam erst mit 20) und Büchern, ein Intellekt, der Lehrer in die Verzweiflung treiben konnte, und eben dieser Zustand von ständig wechselnden Wahrheiten, von unbegründete Heulkrämpfen und Momenten auf der Rheinbrücke, wo der Fluss lockt. Und natürlich Scheiße. Über all. In allen Kombinationen. Nein, es reizt mich überhaupt nicht, jemanden dabei auch noch über die Schulter zu blicken. Und noch dazu so völlig unreflektiert, dass man einem feuchten Traum von der unbesiegbaren Heldin bis zum bitteren Ende folgen muss.

 

Und ja, hätte ich das hier nicht schreiben wollen, ich hätte wieder nach ein paar-undzwanzig Seiten aufgehört zu lesen, aus genau diesem Grund: Dass ich es hinter mir habe, dieses tägliche Oszillieren zwischen den Extremen, mit dem Ich als Zentrum des Universums, das so peinlich erscheint, wenn nicht mehr oder noch nicht wieder den Hormonen ausgesetzt ist, das vielleicht auch erklärt, dass die sorgfältig auch in der Erstausgabe annotierten Songtextüberschriften seltsam rückwärts gewand scheinen, Leonard Cohen, Roy Orbison, da ist Leisha Halley noch das Küken. Sehnsucht nach heiler Kindheit, die die Geschichte der Heldin natürlich verweigert, weil sie sonst einen Ort hätte, Kraft zu schöpfen in lichten Momenten, in denen ihr Hirn bereits an erwachsener Sicht kratzt. Es zeigte Schwäche, die sie nicht haben darf, die Bedrohung, am Ende tatsächlich besiegt zu werden. Von der Biologie, von ihrem Körper und ihrem Verstand.

 

Sich in Frage zu stellen, wirklich, dazu bedarf es nämlich einer abgeschlossenen Metamorphose des Gehirns und deshalb kann Axolotl Roadkill eben nicht bestehen gegen Bücher wie Naked Lunch oder Basketball Diaries, nicht gegen Filme wie Good Will Hunting. Nicht strukturell, nicht sprachlich, und schon gar nicht literarisch.

 

Und wie immer, das ist mein Sicht auf das Buch, nicht mehr, nicht weniger, aber sicher nicht unbeeinflusst vom Hype. Ich glaube, das gelänge nur jemanden, der all das auf einer Insel verschlafen hat und dem das Buch unvermutet auf den Kopf fällt.

 

Liebe Grüße

Judith

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bin gerade erst auf die Buchbesprechung gestoßen. Ich hab den Roman noch nicht gelesen und hab´s auch erstmal nicht vor, aber die Rezension ist wirklich aussagekräftig und klasse. Danke, Judith!

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Über dieses Buch ist schon eine ganze Menge geschrieben worden, hier findet sich der lange Thread zu "Noch ein Plagiat? Axolotl Roadkill" (Link ungültig) (Link ungültig) mit unendlich vielen Links und Verweisen. Deshalb wollte ich nun die versprochene Rezension nachholen.

 

http://ws-eu.amazon-adsystem.com/widgets/q?_encoding=UTF8&ASIN=3550087926&Format=_SL250_&ID=AsinImage&MarketPlace=DE&ServiceVersion=20070822&WS=1&tag=andreaswilh09-21http://ir-de.amazon-adsystem.com/e/ir?t=andreaswilh09-21&l=as2&o=3&a=3550087926

 

Klappentext: Radikal, Klug, Abgründig. Helene Hegemann erzählt in ihrem ersten Roman vom Leben in einer Welt, die sich von allen Konventionen befreit hart. >>Ich bin sechzehn Jahre alt und momentan zu nichts anderem mehr in der Lage, als mich trotz kolossaler Erschöpfung in Zusammenhängen etablieren zu wollen, die nichts mit der Gesellschaft zu tun haben, in der Ich zur Schule gehe und depressiv bin. Ich bin in Berlin. Es geht um meine Wahnvorstellungen.

 

Rezension:

In Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ geht es das Tagebuch der 16jährigen Hauptfigur Mifti, die sich nach einem Nervenzusammenbruch auf eine drogen- und wahngetragene Odyssee durch ein absurd- gegenwärtiges Berlin macht, das aus Theorien, berühmten Namen und der inneren Auflösung in Drogen und Musik besteht, nicht aus einem realen Ort.

Wobei zu beachten ist: Mifiti spricht in ihrem Tagebuch von Effekthascherei, von Spieltheorie, von Lügen (die aber in sich wahr sein) im Bezug auf das Tagebuch. Andere von Mifti zitierte Stimmen sprechen von Altklugheit und der Methode mit Erwachsenfloskeln so zu tun als ob, und gleichzeitig die Floskeln nicht zu verstehen. Mifti berichtet eben in ihrem Tagebuch nicht nur von ihrem Leben, sie gestaltet es dort im Rahmen der Spieltheorie aus. Und Wahrheit heißt hier nicht Wahrheit der Schilderung.

 

„Schreckliche Leben sind der größte Glücksfall“, schreibt Mifti und überträgt ihre eigenen (angeblichen?) schlimmen Erfahrungen von Vergewaltigung, von Verwahrlosung und Gewalt durch ihre Mutter auf andere Figuren, um diese in vielfältiger und oft sexueller Art mit diesen zu wiederholen und immer wieder neu daran zu leiden. Denn die Wiederholung entbindet Mifti davon sich wirklich mit diesen Dingen auseinander zu setzen und erlaubt sich weiterhin im Larvenstadium zu verbleiben, die im Titel angedeutet ist. Nach dem Ende der Verwahrlosung ist es die „Wohlstandsverwahrlosung“, fehlende Ziele, fehlende Grenzen, fehlende Beziehungen, die Mifti im Tagebuch beschäftigen.

 

Floskelhaft schickt Mifti allerlei literarisch, filmische, musikalische oder theatrische Verweise durch ihr Tagebuch, ersetzt Inhalte durch Namen und Theoriebruchsteine, alles kommt einmal vor, vom KZ, RTL-2 Dokumentationen, Foucault, De Sassure, Pinguine, Marx, Feminismus, Heiner Müller und Beate Uhse, immer wieder kontrastiert mit Füllwörtern oder Gegenbildern, verzerrt oder verfremdet. Dazu kommen unterschiedliche Clubs, die verschiedensten Drogen, Drogenexzesse und Sexschilderungen der unterschiedlichen Art, teilweise recht unglaubwürdig.

All dies bildet letztlich den Rahmen für Mifti sich nicht mit sich selber oder der Leere beschäftigen zu müssen, einem Ziel, einer Entwicklung. Sie ersetzt dies durch bindungslosen Sex, Drogen, durch Theoriekonstrukte ohne Inhalt, durch Verweise und viele Floskeln, die gerade durch die groteske Art der Schilderung fast schon wieder parodistisch, überzogen und gleichzeitig spießig wirken.

 

Das Tagebuch soll, wie Mifti es formuliert, „keinesfalls in einem sozialkritischen Singsang“ sprechen, und das tut es auch nicht. Sprachlich ist Helene Hegemanns Roman eine beachtliche Leistung, weil es ihr gelingt das oben genannte Thema mit ihrer Sprache zu fassen und dies zu einem eigenwilligen, anstrengenden Rhythmus zu fassen, mit brillanten Textstellen, überzeugenden Dialogen, die durch verschiedene theoretische Bruchsteine und Namedropping interessant verfremdet werden, mit der angedeuteten Spießigkeit.

Inhaltlich und in der Gestaltung, gerade durch sich fortsetzende Wiederholungen, durch eine Vermischung von Traum, Wahn, Gegenwart, Vergangenheit, ist der Roman nicht einfach zu lesen, wie es die Verweise auch nicht gerade einfacher machen. Manches wirkt verstellt, schwierig und es ist keine Freude Mifti und ihre Bekannten kennenzulernen, weil alle Figuren auf ihre Art unsymphatisch, selbstverliebt und selbstfixiert, leidend und entwicklungsunfähig erscheinen, sowie grausam und hart. Hunderte von Themen werden angeschnitten, die meisten nicht einmal wirklich betrachtet, sondern gefloskelt, und am Ende der Lektüre sitzt man mit Kopfschmerzen vor diesem Text.

Die Gemeinsamkeit mit Sagan und Salinger wird immer über die selbstreflektierenden Passagen von Mifti, die Haltung zu allem, konstruiert, oder über die Suche nach einem coming-of-age, einem Platz, nachdem das „Axolotl“ seinen roadkill hatte. Aber Hegemann schreibt eine Odyssee ihrer Hauptfigur nach einem Nervenzusammenbruch, in der Haltung und Selbstreflektion eben meist nur auf Name oder Theoriebruchstein runtergebrochen wird, auf Drogen und Sexerfahrung. Es geht nicht darum einen Platz zu finden, ein „coming-of-age“, sondern genau das zu verweigern. Aber wenn man das als Haltung betrachtet, sind die Verweise durchaus gerechtfertigt.

 

Die Frage, wie gut ist Helene Hegemanns Text wirklich, benötigt aber noch zwei wichtige Erklärungen. Die erste betrifft die Übernahmen von fremden Texten in ihrem Roman und deren Bedeutung für den Text. Die zweite eine Einordnung in die Gegenwartsliteratur.

1. Helene Hegemann hat Texte des Bloggers und Schriftstellers Airen (und auch andere Texte) in ihrem Text übernommen. Andreas Kilb hat den Unterschied für die FAZ schon deutlich benannt: „Denn in der Literatur geht es nicht um das Leben, das in die Bücher fließt. Sondern um das, was aus ihnen herausströmt". Helene Hegemann hat Textstellen übernommen und diese nicht in ihren Text eingesetzt, sondern mit einer ureigenen Bedeutungshöhe versehen und somit ihren Text verstärkt. Ihr Text unterscheidet sich von dem Airens, indem der über sein Leben berichtet, und sie die bei Airen nur angedeuteten Fragen und viel mehr in den Mittelpunkt ihres Textes stellt.

2. Die Einordnung in die Gegenwartsliteratur ist schwierig. Viele Elemente ihres Textes erinnern sowohl an die Popliteraten, wenn auch eher an die englischen, von Kraft einmal abgesehen, weil es eben mehr als nur um Ereignisse geht, sondern um Inhalte. Gleichzeitig meine ich ein wenig von Clements Meyers Art zu schreiben in dem Text zu finden, diese rhythmische, breite, mal gehetzte, mal langsame, oder auch die nahezu unverschämte Art Gottfried Benns auf Ideen und Theorien durch einen Namen oder einen Halbsatz zu verweisen.

 

Insgesamt ist Helene Hegemann ein ziemlich verstörender Roman gelungen, der in seiner manischen, rhythmischen Art sehr eigen und sehr mutig ist: Ein Roman ohne eine wirklich sympathische Figur, mit gefloskelten Satzteilen und angedeuteter Mittelstandspießigkeit.

An vielen Stellen ist der Roman sehr gut gelungen, sprachlich brillant, wenn man sich darauf einlässt, an anderen Stellen meine ich, dass hier weniger Effekthascherei, Sperma und Rotz dem Roman besser getan hätten. Nur werde ich halt auch das Thomas-Bernhard-Gefühl nicht ganz los, weil manches verstellt, überladen, überladen durch Wiederholung, grotesk und ziemlich anstrengend zu lesen ist. Das widerspricht aber nicht dem obigen Leseeindruck, sondern gehört zu diesem.

Dieser Roman ist in seiner Gesamtheit ein Versprechen und eine Täuschung, was alles für Helene Hegemann als Autorin möglich ist und was sie vermutlich nicht alles einhalten kann oder wird. Aber selbst wenn es eine Täuschung ist, ist es ein ziemlich beachtliches Debut. Wenn es ein Versprechen ist, dann hoffe ich, dass Helene Hegemann nicht wirklich Jura studiert, sondern das nächste Buch schreibt. Denn ich bin ziemlich beeindruckt.

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Sehr interessant. Ich werde das Buch jetzt auch mal lesen.

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar abzugeben

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden


×
×
  • Neu erstellen...