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Beate K.

Tierquälerei u.ä. in historischen Romanen

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Die Tierquälerei-Diskussion bringt mich auf eine andere Frage: Helden, die Tiere quälen oder sich an Tierquälereien beteiligen oder ergötzen stoßen den Leser ab. Sehe ich auch so. Gleiches gilt für das Gutheißen von Folterungen oder Hinrichtungen. Folgerichtig sind mir in historischen Romanen bisher nur Helden begegnet, die sich bei Tierquälereien, Folterungen oder Hinrichtungen gruseln.

 

Aber wie realistisch ist das? Soweit ich weiß, fanden die Zeitgenossen dieser Helden dergleichen mehrheitlich völlig in Ordnung. Bärenhatzen und Fuchsprellen z.B. waren gesellschaftliche Vergnügungen, die besonders von Damen sehr geliebt wurden, Hinrichtungen glichen Volksbelustigungen. Das ist heute schwer vorstellbar, aber es war so. Fuchsprellen (das war eine "Belustigung" gesellschaftlich hochgestellter Personen, bei der lebend eingefangene Füchse mit auf den Boden gelegten Stoffstreifen in die Höhe geschleudert und nach Möglichkeit beim Herunterfallen wieder aufgefangen wurden, z.T. wurde der Boden gepolstert, damit es länger dauerte; was die Tiere dabei empfanden und an welchen Verletzungen sie - nach stundenlangem "Spiel" - endlich starben lässt sich denken) wird von Zeitgenossen so beschrieben, wie man heute vielleicht ein Spiel schildern würde, bei dem Luftballons zerplatzen.

 

Ist es sinnvoll, dass (fast?) alle Autoren historischer Romane sich dem heutigen Denken so weit anpassen, dass die Figuren unrealistisch werden? Oder erwarten die Leser historischer Romane eh keine realistische Darstellung? Oder irre ich mich und es gab auch damals einen nennenswerten Prozentsatz von Menschen, die dergleichen ablehnten? In den (zugegeben wenigen) Quellen, die ich kenne, steht davon nichts.

 

Grübelgrüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Stephanie Schuster

Wie im Gewaltthread bereits diskutiert, finde ich, wenn es die Handlung weiterbringt, dann ist es auch im HR okay, wenn es rein um die Sensationslust geht, ist es überflüssig, egal ob Mensch oder Tier gepeinigt werden.

Man sollte schon versuchen, sich mit dem früheren Weltbild auseinanderzusetzen, wenn man HR schreibt, aber trotzdem kann man ja aus der Haut der Gegenwart nicht heraus.

Blutrünstige Quälereien, das gilt für alle Genres, langweilen oder stoßen ab, wenn sie keinen Grund haben, den der Leser nachvollziehen kann.

 

LG Rebecca

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Wie im Gewaltthread bereits diskutiert' date=' finde ich, wenn es die Handlung weiterbringt, dann ist es auch im HR okay, wenn es rein um die Sensationslust geht, ist es überflüssig, egal ob Mensch oder Tier gepeinigt werden.[/quote']

Ich meine nicht, ob die Quälereien im Buch sind, sondern wie die Protagonisten dazu stehen. Da ergibt die Frage, ob es die Handlung weiterbringt, mE keinen Sinn.

 

In die Position der Zeitgenossen könnte man sich schon versetzen. Aber das liest bzw. kauft dann wahrscheinlich niemand?

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Stephanie Schuster

Doch, denn wenn ein Protagonist ein Tier quält oder einen Menschen foltert, wird er vermutlich einen Konflikt auslösen, der die Handlung voranbringt. War die Katze oder der Mensch ohne Bedeutung bisher, wird es auch den Leser nicht berühren.

 

Beispiel: Wenn am Anfang eines HR ein Mensch verbrannt wird, für den der Leser noch kein Mitgefühl entwickelt hat, ist das vielleicht noch beim ersten HR interessant, aber inzwischen langweilt es. Ist aber die Tochter der Frau, die da als Hexe verbrannt wird, bereits durch den Text vorgestellt und sehen wir die Hinrichtung durch ihre Augen, ist es spannend.

 

Oder verstehe ich Dich (immer noch) falsch?

 

LG Rebecca

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Oder irre ich mich und es gab auch damals einen nennenswerten Prozentsatz von Menschen, die dergleichen ablehnten? In den (zugegeben wenigen) Quellen, die ich kenne, steht davon nichts.

 

Grübelgrüße

Beate

Glücklicherweise ist die Akzeptanz von Tierquälerei in Deutschland sehr niedrig. Doch so ein dauerbrennender Spaltpilz in Europa ist z.B. der Stierkampf, der auch heute noch seine glühenden Bewunderer hat.

 

In Lateinamerika z.B. ist Tierquälerei als Volksbelustigung ziemlich verbreitet und wird von zeitgenössischen Schriftstellern in einer uns sehr befremdlichen Weise beschrieben, wobei langsam eine Bewusstseinsänderung stattfindet.

 

Reine Spekulation, aber ich meine, dass es durchaus von vielen Leuten als lustig oder putzig empfunden worden ist, wenn ein beispielsweise ein verletztes Tier versucht, sich aufzurichten.

 

LG

Helga

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Oder verstehe ich Dich (immer noch) falsch?

Scheint so.http://smilies.montsegur.de/05.gif

 

Wenn der Protagonist es selbst ohne sehr guten, nachvollziehbaren Grund tut, wird er für den Leser unmöglich, das hatten wir ja schon.

 

Wenn der Protagonist Kind oder Freund oder Partner des Hingerichteten ist wird er selbstverständlich dagegen sein. Das ist der Leser auch, also alles ok.

 

(Ob es den Leser kalt lässt, wenn Katze oder Mensch bisher ohne Bedeutung waren, glaube ich nicht bzw. kenne ich etliche Gegenbeispiele, aber das ist jetzt nicht mein Thema.)

 

Die Frage ist, ob es ein heutiger Leser tolerieren würde, wenn der (selbst nicht betroffene!) Held oder die Heldin eine grausame Hinrichtung als angemessene Strafe empfindet, oder eine brutale Tierquälerei als spaßigen Zeitvertreib, wie es die Mehrheit seiner Zeitgenossen taten, aber niemand der heutigen Leser. (Anscheinend nicht, jedenfalls kenne ich kein Buch, wo es so ist.) Und wenn nicht, wie geht man als Autor, der gern realistisch schreiben möchte, damit um?

 

War es jetzt verständlicher?

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Stephanie Schuster

Ja, jetzt habe ich Dich verstanden. Ich weiß nur nicht, ob Du so etwas schreiben möchtest, denn jeder Roman, ob gewollt oder ungewollt, transportiert das Weltbild des Autors, manchmal sehr versteckt, manchmal offensichtlich (moralisierend).

 

Ich will beim Lesen wachgerüttelt werden, ob ich es toleriere, bleibt am Ende meine Entscheidung. Probiere es aus beim Schreiben und teste es (z. B. in den Textkritiken).

 

LG Rebecca

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Den Rat von Rebecca moechte ich unterstuetzen.

Es waere, denke ich, leichter, auf Deine Frage zu antworten, wenn Du etwas spezifischer beschreiben koenntest, wo Dein handwerkliches Problem liegt. Denn einen allgemeinen Thread zur Wirkung von Szenen mit Tierqualerei haben wir ja schon.

 

Viele Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Natürlich wird ein Held, der eine grausame Hinrichtung gut findet, seine Fans haben - nämlich dann, wenn der Schurke es verdient hat. Wie häufig schreien die Menschen hier, wenn grausige Verbrechen geschehen, auch nach Todesstrafe und härteren Strafen überhaupt. Auch heute würden Leute bei öffentlichen Hinrichtungen zusehen, wenn es das gäbe.

 

Bei der Tierquälerei muss man unterscheiden, was es ist und welche Punkte es anrührt. Wenn der Held sich an einem schwächeren Tier vergreift und es quält, dann hat das nichts mit Heldenmut zu tun, sondern mit seinen niederen Instinkten, die es auch heute noch gibt, aber die anständige Menschen bekämpfen. Warum sollten Menschen früher nicht auch schon solche Instinkte bekämpft haben? Wenn er sich einem starken, gefährlichen Tier stellt, und dazu zählen die Spanier den Stier, dann mag das in unseren Augen immer noch grausame Tierquälerei sein, aber dabei könnte der Mensch auch zu Schaden oder gar zu Tode kommen, insofern hat es eine andere Qualität.

 

Ich denke mal, der Held darf zu seinen zeitgenössischen Vergnügungen stehen, wie er will, solange er dabei moralisch in seiner Rolle bleibt und sich nicht an Schwächeren vergreift. (Außer er hat Hunger und schlachtet ein Huhn.)

 

Gruß, Melanie

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Stephanie Schuster

Ein Beispiel zur Menschenquälerei: Ich habe für die Recherche zu meinem Roman "Das Gedächtnis der Lüge" mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus gesprochen. Die Weltsicht der ehemaligen Wehrmachtssoldaten war eine für mich schwer nachvollziehbare, aber es hat mir die Erkenntnis gegeben, dass die Wirklichkeit viel grausamer ist, als es je ein Roman sein kann und auch viel grotesker.

 

LG Rebecca

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Nun, ich verstehe die Frage sehr gut - denn tatsächlich ist es das, was mich an vielen historischen Romanen noch am meisten stört: Dass zwar, gerade auch auf Seiten der Leser, mitunter viel Wert sogar auf eher zweifelhafte, materiell-historische Details gelegt wird, dass demgegenüber aber die Helden sehr oft zu modern sind und aus ihrer Zeit fallen. Mitunter in einem Maße, dass sie wie Zeitreisende wirken, mitunter eher subtil.

 Aber eine Lösung habe ich dafür auch nicht anzubieten. Es scheint tatsächlich tendenziell eher besser anzukommen, wenn die Helden in gewissen, kritischen Punkten etwas "modern" denken und agieren. Wobei es insgesamt eine Gratwanderung ist, den Helden zeitgenössisch genug wirken zu lassen, dass er nicht als plump unpassend auffällt, und umgekehrt nah genug am Leser, dass der sich noch damit identifizieren kann.

 Es ist in historischen Romanen sicher leichter, bestimmte Eigenschaften der Helden als "Zeitkolorit" einzuflechten, und ich denke, vor diesem Hintergrund könnte man womöglich auch Rücksichtslosigkeit gegen Tiere leichter vermitteln als in anderen Genres ... aber man müsste das wohl auf jeden Fall deutlich genug als "nicht-individuelle Eigenschaft" vermitteln und für Ausgleich sorgen. Wenn man es denn überhaupt wagen möchte, so ein Thema anzuschneiden  :-/

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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Stephanie Schuster

Ich glaube, dass man sich, trotz allergründlichster Recherche nicht hundertprozentig in die mittelalterliche Zeit hineindenken kann. Dazu gehören viele Grundeinstellungen. Der Teufel z. B. war eine real existierende Figur. Die Religion durchdran alle Bereiche, heute nur noch schwer nachvollziehbar  :s22

 

Aber das ist ja auch das schöne am Schreiben, in zwanzig Jahren kann ein Schriftsteller über dasselbe Thema mit seiner neuen Weltsicht wieder schreiben, und schreibt doch übers Mittelalter.

 

LG Rebecca

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Ja' date=' jetzt habe ich Dich verstanden. Ich weiß nur nicht, ob Du so etwas schreiben möchtest[/quote']

Eher nicht. Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Ich finde z.B. Charlies Bärenszene klasse, ich weiß (glaube ich) auch, was sie mir damit sagen will (die Bärenhatz ist Projektionsfläche für die Gedanken der Beobachterin). Aber ich könnte es nicht so schreiben, weil ich weiß (oder glaube zu wissen), dass damals keine Hofdame Empathie gegenüber einem Tier empfunden hätte.

 

Die Einstellung Tieren gegenüber, so sagen mir die zeitgenössischen Quellen, glich eher der, die wir heute gegenüber einem Teebeutel haben, den wir in kochendes Wasser tun, oder eben gegenüber Luftballons, die wir zum Gaudi unserer Kinder platzen lassen.

 

Nur, wenn man sich da reindenkt, damit aber heutige Leser abstößt, hat es ja auch keinen Sinn...

 

Ich denke mal' date=' der Held darf zu seinen zeitgenössischen Vergnügungen stehen, wie er will, solange er dabei moralisch in seiner Rolle bleibt und sich nicht an Schwächeren vergreift.[/quote']

Und das ist genau der Punkt: Tiere wurden nicht als "Schwächere" gesehen, sondern als seelenlose Dinge. Insofern ist seine heutige Rolle ggf. historisch falsch.

 

Wobei Stierkampf, Bärenhatz u.ä. sicherlich eine sportliche Komponente hat(te) und als Wettkampf (halbwegs) Gleichstarker gesehen und bejubelt wird, ähnlich wie ein Boxkampf oder ein Fußballspiel. Aber manche Tierquälereien zum Vergnügen, siehe Fuchsprellen, sind nicht mal so zu erklären.

 

Ich glaube' date=' dass man sich, trotz allergründlichster Recherche nicht hundertprozentig in die mittelalterliche Zeit hineindenken kann. Dazu gehören viele Grundeinstellungen. Der Teufel z. B. war eine real existierende Figur. Die Religion durchdran alle Bereiche, heute nur noch schwer nachvollziehbar [/quote']

Na, wenn man sich da schon nicht reindenken kann sollte man vielleicht lieber keine historischen Romane schreiben? Das finde ich vergleichsweise leicht, und es wird ja auch vom Leser akzeptiert.

 

Nun' date=' ich verstehe die Frage sehr gut - denn tatsächlich ist es das, was mich an vielen historischen Romanen noch am meisten stört: Dass zwar, gerade auch auf Seiten der Leser, mitunter viel Wert sogar auf eher zweifelhafte, materiell-historische Details gelegt wird, dass demgegenüber aber die Helden sehr oft zu modern sind und aus ihrer Zeit fallen. Mitunter in einem Maße, dass sie wie Zeitreisende wirken, mitunter eher subtil.[/quote']

Genau, so meinte ich das. :)

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Ich habe jetzt aber immer noch nicht verstanden, weshalb Du ein handwerkliches Problem damit hast, wenn Du das gar nicht schreiben willst.

 

Rein handwerklich wuerde ich naemlich zum Beispiel raten, das Problem zu umgehen.

Und es gibt da im historischen Roman noch wesentlich brisantere Bereiche als Tierquaelerei - Antisemitismus zum Beispiel.

Wenn Du das Risiko nicht eingehen willst, Leser von der Figur zu trennen (die Du dann von weither wieder abholen musst und eventuell nicht wiederbekommst), musst Du die Geschichte eben dementsprechend planen und die zu schuetzende Figur in die fragliche Situation nicht bringen.

 

Eine noch schoenere Loesung ist, finde ich, der Mittelweg: Mir faellt dazu - obwohl das Beispiel ueberhaupt nicht passt - gerade Oedoen von Horvaths "Jugend ohne Gott" ein. Natuerlich ist das kein Genreroman, um Gottes willen, aber das, was Horvath da macht, funktioniert auch in einem solchen. Denke ich. Und es funktioniert sehr gut: Er schildert einen zu Beginn mehr oder weniger durchschnittlichen, nicht im Widerstand o.ae. organisierten Lehrer am Jungengymnasium des Jahres 1938, der sich in einem Schueleraufsatz mit dem Satz "Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul" konfrontiert sieht.

In diesem Lehrer regt sich Widerspruch. Er findet die Verallgemeinerung sinnlos und die Aussage falsch - aber er faellt nicht aus seiner Rolle als durchschnittlicher Lehrer seiner Zeit. Dem Schueler versucht er zu erklaeren, dass "Neger auch Menschen" seien, auch wenn "wir Weissen kulturell und zivilisatorisch ueber den Negern stehen."

Eine solche Figur, wenn sie ueberzeugend, lebendig und detailliert gezeichnet ist, kann den Leser sehr gut mitnehmen. Dass der Lehrer nicht denkt wie ein Anti-Apartheid-Aktivist von 1983, kann er akzeptieren, weil der Lehrer sich durch sein geradezu instinktives Straeuben gegen des Schuelers Rassenhass und durch seinen mutigen Erklaerungsversuch seine Sympathie erobert. Der Leser bekommt einen Menschen vorgefuehrt, der in seine Zeit gehoert und nicht mit ihr bricht, der also auf seinem eigenen Boden glaubhaft und repraesentativ bleibt - der aber die innere Staerke hat, sich ein Stueck weit davon wegzustemmen - und womoeglich im Verlauf der Handlung mehr zu lernen, mehr zu wachsen.

 

So etwas geht.

 

Was das konkrete Beispiel angeht: Es hat zur Tudorzeit massenweise Menschen gegeben, die keine Baerenhatzen sehen wollten, weil sie diese blutruenstige Art von Vergnuegungen anwiderte - auch wenn sie sicher nicht auf die Idee gekommen waeren, bei Nacht loszuschleichen und Baeren zu befreien. Eine solche Haltung kann man auch der eigenen Hauptfigur ueberstreifen und damit weder den Leser vor den Kopf und von der Figur ganz wegstossen noch die Figur aus ihrer Verwurzelung reissen (was sie sehr leblos macht, finde ich - ich lese so etwas nicht gern, das kaeme mir in der Tat vor wie ein Zeitreiseroman).

 

Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Ich habe jetzt aber immer noch nicht verstanden' date=' weshalb Du ein handwerkliches Problem damit hast, wenn Du das gar nicht schreiben willst.[/quote']

Ich würde es gern zu schreiben versuchen, wenn ich die Quadratur des Kreises hinbekäme: einerseits historisch genau zu sein, andererseits kein "das geht gar nicht, dass der Held DAS normal findet" auszulösen. Das scheint aber nicht zu gehen, lese ich aus den Diskussionsbeiträgen.

 

Offenbar müssen sympathische Figuren moderner denken, als es eigentlich möglich war.

 

Oder man lässt entsprechende Szenen und Themen komplett weg. In den Cadfael-Mittelalter-Krimis z.B. kommt nichts dergleichen vor, weder die Beziehung der Protagonisten zu Tieren, noch zu Hinrichtungen oder Hexenverbrennungen. Fällt mir gerade auf.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Huch, jetzt ist Dein Text nachträglich länger geworden...

 

Und mein handwerkliches Problem gelöst, glaube ich. ;) Danke!

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Hallo Beate,

 

ich verstehe dein Problem, sehe es aber als nicht so kritisch an. Natürlich sind wir heute alle "Tierschützer", aber nur solange wir nicht hinschauen müssen, was sie in der Massentierhaltung zu Nahrungszwecken machen. Da würde dir nämlich ganz übel werden. Solange er wegschauen kann, ist der Mensch gut, nicht wahr?

 

Was du im Folgenden sagst, ist für mich eine zu starke Verallgemeinerung:

 

Die Einstellung Tieren gegenüber' date=' so sagen mir die zeitgenössischen Quellen, glich eher der, die wir heute gegenüber einem Teebeutel haben, den wir in kochendes Wasser tun, oder eben gegenüber Luftballons, die wir zum Gaudi unserer Kinder platzen lassen.[/quote']

 

In frühen Zeiten war die Natur eine Bedrohung für den Menschen. Der mittelalterliche Mensch traute sich kaum aus seiner Behausung, Reisen war eine Gefahr, auf schmalen Pfaden durch dunkle Wälder. Es gab reißende Wölfe im Winter und Bären. Schädlinge und Wildtier vernichtete die Ernte. Deshalb soll es nicht verwundern, dass die Menschen ein ambivalentes Verhältnis zur Tierwelt hatten.

 

Ich sage ambivalent, denn es gab sicher auch die andere Seite. Ohne seine Haustiere musste der Mensch oft verhungern. Starb die einzige Kuh der Familie, dann hungerten die Kinder. Schweinepest war ein Desaster. Und ich glaube der Jäger liebte seinen Hund, genauso wie der Ritter sein Schlachtross. Zu ihm musste er eine besondere Beziehung gehabt haben, denn im Kampf hatte er keine Hand frei und musste das Tier durch Schenkeldruck und Gewicht lenken. Das geht nur, wenn man eine intime Kommunikation mit dem Tier hat.

 

Also Mensch und Tier als Symbiose hat es auch gegeben, mehr als heute. Dazwischen muss man als Autor moderieren und nicht ins Einseitige verfallen.

 

Ich hatte ein ähnliches Problem mit Grausamkeiten, die während des Kreuzzugs geschehen. Mein Prota ist ja Teilnehmer. Ein Dorf wird überfallen und wie üblich werden die Frauen geschändet. Er macht nicht mit, schaut aber teilnahmslos zu. Bis die Sache von seinem Fürsten abgebrochen wird. Seine Inaktivität will er vor sich selbst ausreden, da es ja so üblich ist, schon hundert Mal passiert, und dass man es den Männern nicht wehren kann, da sie es als ihr Recht betrachten. Aber insgeheim schämt er sich. Weil es nicht christlich ist. Diese und andere Erlebnisse führen später dazu, dass er den ganzen Krieg gründlich satt hat und überhaupt an der Gerechtigkeit des Kreuzugs zweifelt.

 

So lässt sich der Zeitgeist darstellen ohne den Prota allzu beschädigen. Im Gegenteil, es hilft bei der Entwicklung, die die Figur durchmacht.

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Hallo,

 

ich möchte Ulf zustimmen: Menschen aus früheren Jahrhunderten waren gegenüber Tieren sicher nicht alle gefühllose Klötze. Ein Ritter kann eine enge Beziehung zu dem Ross, das ihn erfolgreich durch Schlachten getragen hat, haben, und eine in ihrer arrangierten Ehe unglückliche, vielleicht gar kinderlose Dame mag den Schoßhund mit Zuneigung überhäufen. Das finde ich in einem historischen Roman absolut nicht unglaubwürdig, im Gegenteil, es ist einfach menschlich. Und wenn eben dieses Tier sinnlos gequält wird, wäre es auch glaubwürdig, wenn die Person mit allen Mitteln versucht einzugreifen.

 

Das Verhältnis zu wilden Tieren wie etwa Bären oder Wölfen mag wohl ganz anders gewesen sein, da sie im realen Leben ja durchaus eine Bedrohung darstellen konnten. Den schlauen Fuchs wollte man auch nicht im Hühnerstall haben. Und Nutztiere hatten vor allem nützlich zu sein, selbst wenn man sie manchmal vielleicht auch mochte. Doch wer Mühe hat, die eigenen Kinder durchzufüttern, wird kein so enges Verhältnis zu seinen Kühen aufbauen, dass er sie am Ende nicht schlachten kann.

 

Dennoch fände ich nichts Unglaubwürdiges daran, wenn ein vielleicht schon als besonders zartfühlend und sensibel beschriebener Prota bei der Bärenhatz angewidert wegschaut oder nicht hingehen mag. Es muss zum Charakter passen, das ist alles. Wenn Prota hingegen davon angetan ist, muss man deutlich machen, warum: all die tapferen Kerle kämpfen gegen einen Bären, der ja böse und gefährlich sein könnte, wenn man ihm im Wald begegnet. Ich fände den wegschauenden Prota zwar sympathischer, könnte die Einstellung des anderen aber noch einigermaßen nachvollziehen, weil es eben eine andere Zeit war.

 

Unglaubwürdig wären für mich nur Tierschutzaktionen im Sinne von: wir schleichen uns jetzt in die Burg und befreien all die armen Jagdfalken. Damals hatten Leute ganz andere Sorgen.

 

Ich glaube aber, dass es auch in früheren Zeiten Menschen gab, die durchaus zu Mitgefühl fähig waren und den Sinn grausamer Praktiken vielleicht auch mal anzweifelten. Vermutlich waren sie eher Ausnahmen, aber durch solche Protas spricht man moderne Leser eben besser an. Total unhistorisch muss es deshalb nicht sein.

 

Viele Grüße

 

Tereza

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Andersrum wird ja auch ein Schuh draus - schauen wir uns mal die ganzen Grausamkeiten an, die heute noch passieren. Die stehen denen im Mittelalter in nichts nach, auch wenn sie nicht alle in Deutschland geschehen. So weit brauchen wir gar nicht zurückzugehen - denken wir nur mal an die Greuel in Ex-Jugoslawien. Die Menschen sind m.E. in ihrem Grundnaturell gleich geblieben. Nur die Umgehensweisen sind kulturell unterschiedlich. Auch in Deutschland wird ein Bauer, der Nutzvieh hält, eine andere Beziehung zu seinen Tieren aufbauen, als ein Liebhaber, der seine Tiere nur zum Vergnügen hält.

 

Gruß, Melanie

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Hallo zusammen,

 

ich verstehe das grundlegende Problem in den beiden Threads, aber ich begreife es nicht. Natürlich gilt Tierquälerei heute als Vorstufe von meist ernsten psychischen Erkrankungen- das war aber im Mittelalter völlig anders. Denn die Einordnung beruht auf heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen und Haltungen, Meinungen und Werten- und die waren im Mittelalter völlig anders.

Ritualisierte Tierquälerei war Teil bestimmter kultischer Handlungen und des Alltags- das mag heute verwirren, aber die altklugen Helden moderner Romane, die das nicht machen und viel zu aufgeklärt für das eigene Zeitalter sind, wirken dadurch oft anachronistisch. Denn ihre Gedankenwelt führt aus der Zeit heraus.

Übrigens ist das auch eine Form der Selbstzensur: Denn es wird angenommen, was der Leser nicht lesen möchte.... und einige Beschwerden verabsolutiert. Dazu gehört anmerkt: In einem Roman über Friedrich II, einem der gelehrtesten Männer seiner Zeit, gehört hinein, dass er Säuglinge eingesperrt hat und ihnen alle menschliche Wärme vorenthalten hat, um deren Bedeutung für die Kinderentwicklung zu überprüfen. Die Säuglinge sind gestorben. Die Kunst ist die Einordnung. Dem auszuweichen halte ich für falsch.

Und zur Einordnung der Mensch Haustier/ Ritter Pferdbeziehung: Die meisten Tiere im Mittelalter waren Nutztiere. Je nach Stand und Art des Haustiers wurde ihr Wert bemessen. Grausamkeiten musste man sich leisten können und dann wurden sie auch geleistet- denn eine Beziehung wie heute zu Haustieren, zum Tierschutz, ist nicht zeitgemäß, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Viele Grausamkeiten beruhten auf Unbekenntnis und können darüber eingeordnet werden. Andere beruhen auf schlichtem Desinteresse, was heute genauso oft passiert wie damals. Und klar, allerlei andere Erklärungen kommen dazu.

Eine Katze unter der Treppe eines Hauses zu begraben war in manchen Regionen halt Brauch und hatte somit nichts mit einer gewalttätigen Haltung der Personen zu tun. Tanzbären waren genauso Unterhaltung wie Hinrichtungen, Rädern, Jahrmarkt und Hexenverbrennung. Es war ungewöhnlich Tiere wegen Hexerei anzuklagen, aber es kam vor. Sogenannte "Hexentiere" zu erschlagen, ersäufen oder zu quälen war nicht unüblich- und wenn es zuviele Katzen gab, dann wurden welche erschlagen, in Säcken ins Wasser geworfen oder anderes. Und viele Schlachtrösser wurden in der Not gegessen. Wie gesagt: andere Haltungen und Meinungen

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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Wobei diese Meinungen und Haltungen bis heute nicht verloren gegangen sind. Sie sind immer noch da, aber oft versteckter.

Allerdings muss man sicher auch berücksichtigen, welche Form von Roman man schreibt: Will man unterhalten und eine Geschichte vor historischer Kulisse erzählen, hat das eine andere Qualität, als wenn man akribisch genau bestimmte historische Ereignisse rekonstruiert und anhand realer Personen beschreibt.

 

Gruß, Melanie

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das war aber im Mittelalter völlig anders. Denn die Einordnung beruht auf heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen und Haltungen, Meinungen und Werten- und die waren im Mittelalter völlig anders.  

Ritualisierte Tierquälerei war Teil bestimmter kultischer Handlungen und des Alltags- das mag heute verwirren, aber die altklugen Helden moderner Romane, die das nicht machen und viel zu aufgeklärt für das eigene Zeitalter sind, wirken dadurch oft anachronistisch. Denn ihre Gedankenwelt führt aus der Zeit heraus.

So meinte ich das auch.

 

Dazu gehört anmerkt: In einem Roman über Friedrich II' date=' einem der gelehrtesten Männer seiner Zeit, gehört hinein, dass er Säuglinge eingesperrt hat und ihnen alle menschliche Wärme vorenthalten hat, um deren Bedeutung für die Kinderentwicklung zu überprüfen. Die Säuglinge sind gestorben. Die Kunst ist die Einordnung. Dem auszuweichen halte ich für falsch. [/quote']

Soweit ich weiß, wollte er herausfinden, welche Sprache die Kinder später sprechen würden, wenn sie nie eine Sprache gehört hatten. Dass die Kinder ohne Zuwendung sterben würden wußte er nicht, es war quasi ein "wissenschaftlicher Unfall".

 

Wobei diese Meinungen und Haltungen bis heute nicht verloren gegangen sind. Sie sind immer noch da' date=' aber oft versteckter.[/quote']

Hm, das glaube ich nicht. Heute werden Tiere als fühlende Wesen gesehen, auch wenn man dem nicht unbedingt Rechnung trägt. Das ist ein wesentlicher Unterschied und wahrscheinlich auch nicht umkehrbar. Grausamkeiten gibt es natürlich trotzdem, ggf. gerade WEIL derjenige sie als fühlende, Schmerz empfindende Wesen ansieht. Aber das ist eine gänzlich andere Einstellung als im Mittelalter.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Wobei diese Meinungen und Haltungen bis heute nicht verloren gegangen sind. Sie sind immer noch da, aber oft versteckter.

Hm, das glaube ich nicht. Heute werden Tiere als fühlende Wesen gesehen, auch wenn man dem nicht unbedingt Rechnung trägt. Das ist ein wesentlicher Unterschied und wahrscheinlich auch nicht umkehrbar. Grausamkeiten gibt es natürlich trotzdem, ggf. gerade WEIL derjenige sie als fühlende, Schmerz empfindende Wesen ansieht. Aber das ist eine gänzlich andere Einstellung als im Mittelalter.

 

Aber nur, wenn du dich auf Deutschland bzw. Europa beschränkst. Und selbst innerhalb Europas gibt es da ganz gewaltige Unterschiede. In Afrika und Asien sieht das schon ganz anders aus.

 

Gruß, Melanie

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Aber nur' date=' wenn du dich auf Deutschland bzw. Europa beschränkst. Und selbst innerhalb Europas gibt es da ganz gewaltige Unterschiede. In Afrika und Asien sieht das schon ganz anders aus.[/quote']

Ja, klar.

 

Liebe Grüße

Beate

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Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang auch mal an Franziskus von Assisi denken, der zu Tieren ein ganz eigenes Verhältnis hatte und das auch sehr wohl zu transportieren wusste.

Nämlich ein Recht auf würdiges Leben.

 

Wenn also jemand einen mittelalterlichen Helden Tierliebe attestieren möchte, kann er sich jederzeit auf die Franziskaner berufen.

 

Oder auf die Bibel: Prediger 3.19: Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh, wie dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben alle einen Odem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh, denn es ist alles eitel. ff

Was de facto den Tieren eine Seele zubilligt. Oder dem Mensche die seine abspricht. Wie man es sehen will.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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