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MelanieM

Schwebende Perspektiven in Genre-Literatur

Empfohlene Beiträge

@AndreasG

Ich hatte diesen Thread ja damals unter dem Titel: Schwebende Perspektiven in Genre-Literatur aufgemacht. Der Nachsatz "Genre-Literatur" war mir damals wichtig, als ich selbst mit der Idee experimentierte, weil ich glaube, dass man in der Genre-Literatur viel bewusster mit solchen Stilmitteln umgehen muss, als in E-Literatur, denn der Genre-Leser hat eine bestimmte Erwartung.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man es nicht darf. Aber ich persönlich denke, dass die Marker hier besonders prägnant gesetzt werden müssen.

 

Z.B. heißt es ja auch immer, man solle keine Zeitebenen wechseln - ich habe es in meinem HR trotzdem gemacht - immer, wenn mein Held kurze, unwillkommene Erinnerungen an alte Traumata hat, gleite ich ins Präsens, um deutlich zu machen, wie unmittelbar dieses Erlebnis ist - er ist jetzt im Hier und Jetzt in seinem Flashback, raus aus dem eigentlichen Geschehen um ihn herum. Diese Unmittelbarkeit des Stilmittels hat meiner Lektorin sehr gefallen und sie hat auch an anderen Punkten darauf geachtet und einmal auch bei einer anderen Szene, wo ich es zuvor nicht hatte, vorgeschlagen, es einzusetzen, was ich dann auch tat.

 

Ich finde es deshalb wichtig, zu diskutieren, was man mit einem Stilmittel erreichen will und ob das gewünschte Stilmittel für das Genre und den Zweck das Richtige ist und welche Gefahren darin liegen. Denn m.E. ist das Stilmittel nicht der Selbstzweck, weil es dieses Mittel gibt, sondern es muss eine Aussage unterstreichen. Und zwar so, dass es der Leser als hilfreich und nicht als verwirrend erlebt.

 

Gruß, Melanie

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.AndreasG' date=' Dein Argument leuchtet mir, ehrlich gesagt, nicht ein. Ob ein Stilmittel gelungen eingesetzt wurde, bewerte ich nach der Wirkung des Textes, nicht nach der Intention des Autors, die mir in aller Regel ja unbekannt ist.[/quote']

 

Ich glaube, wir liegen nicht so weit auseinander, wie es scheint, Charlie.

 

Als Autor muss ich doch als erstes wissen, was ich aussagen will. Dazu wähle ich, nach meinem Können und Wissen, die mir am besten erscheinenden Stilmittel. Dies tue ich selbstverständlich so, dass meine Intention möglichst eins zu eins beim Leser ankommt. Ob es beim Leser dann auch so wirkt, hängt aber nicht nur von mir alleine ab, sondern eben auch vom Leser. Ich habe mich mit meinem vorigen Post nur dagegen gewendet, Stilmittel, die nicht allen Lesern sofort und mühelos eingängig sind, nicht in Betracht zu ziehen. Ich persönlich lasse nur Stilmittel aussen vor, die ich nicht beherrsche. Intention und Wirkung des Textes sollten im Idealfall (!) aber identisch sein. Oder: Die Wirkung des Textes ist die Verwirklichung der Intention des Autors beim Leser.

 

Liebe Grüsse

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Oh, da haben wir uns gerade überschnitten, Andreas. Aber dein Posting unterstreicht noch mal meine Aussage, wie wichtig es ist, das Genre zu berücksichtigen, damit die Wirkung auch wirklich so beim Leser ankommt, wie man es wünscht.

 

Gruß, Melanie

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Intention und Wirkung des Textes sollten im Idealfall (!) aber identisch sein. Oder: Die Wirkung des Textes ist die Verwirklichung der Intention des Autors beim Leser.

 

Klärt mich (und vermutlich viele andere auch) mal wer auf, was die Intention der schwebenden Perspektive ist?

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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.Z.B. heißt es ja auch immer, man solle keine Zeitebenen wechseln - ich habe es in meinem HR trotzdem gemacht - immer, wenn mein Held kurze, unwillkommene Erinnerungen an alte Traumata hat, gleite ich ins Präsens, um deutlich zu machen, wie unmittelbar dieses Erlebnis ist - er ist jetzt im Hier und Jetzt in seinem Flashback, raus aus dem eigentlichen Geschehen um ihn herum. Diese Unmittelbarkeit des Stilmittels hat meiner Lektorin sehr gefallen und sie hat auch an anderen Punkten darauf geachtet und einmal auch bei einer anderen Szene, wo ich es zuvor nicht hatte, vorgeschlagen, es einzusetzen, was ich dann auch tat.

 

Ich finde es deshalb wichtig, zu diskutieren, was man mit einem Stilmittel erreichen will und ob das gewünschte Stilmittel für das Genre und den Zweck das Richtige ist und welche Gefahren darin liegen. Denn m.E. ist das Stilmittel nicht der Selbstzweck, weil es dieses Mittel gibt, sondern es muss eine Aussage unterstreichen. Und zwar so, dass es der Leser als hilfreich und nicht als verwirrend erlebt.

 

Liebe Melanie,

 

ich würde hier nicht vom Genre insgesamt sprechen, denn deine eigene Erfahrung mit dem Wechsel ins Präsens an gewissen Stellen zeigt doch, dass es auf den einzelnen Text ankommt. Abgesehen davon stimme ich zu. Und: ja, Stilmittel dürfen kein Selbstzweck sein - nicht im Genre und auch sonst nirgends.

 

Liebe Grüsse

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Die Leser sind halt auch alle verschieden. Ich habe deinen Blogeintrag gefunden, Olga, und das Textbeispiel gelesen. Nein, mich verwirrt gar nichts. Und dass die beiden Figuren sich nahe stehen, konnte ich spüren.

 

Herzliche Grüße speziell an Olga aus ihrer alten Heimat,

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Intention und Wirkung des Textes sollten im Idealfall (!) aber identisch sein. Oder: Die Wirkung des Textes ist die Verwirklichung der Intention des Autors beim Leser.

 

Klärt mich (und vermutlich viele andere auch) mal wer auf, was die Intention der schwebenden Perspektive ist?

 

Andrea

 

Ich habe ursprünglich, als ich diesen Thread ins Leben rief, einmal gedacht, damit könnte ich einen bestimmten Aspekt in meinem Roman besser ausdrücken, um die Gefühle beider Personen in einer bestimmten Szene zu zeigen. Ich habe dann aber für mich festgestellt, dass das nicht funktioniert und es gelassen. Seither bin ich sehr kritisch, wann es überhaupt notwendig ist, eine schwebende Perspektive einzusetzen, zumal es für solche Fälle ja auch die auktoriale gibt.

An Olgas Beispiel sehe ich auch die Schwierigkeit - ich persönlich bekomme durch das Beispiel keine weiteren Informationen, als ich sie durch eine reine personal gebundene Perspektive hätte.

 

Gruß, Melanie

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Um es noch einmal zu verdeutlichen:

 

Ich habe den Text einfach in meinem Blog veröffentlicht, da ich dort regelmäßig von den Experimenten während der Schreibarbeit berichte, auch darüber, was ich dazu lerne, wie ich etwas umsetze etc. Den Hinweis hier habe ich nur gepostet, weil Claudia in ihrem früheren Beitrag wissen wollte, wie und ob ich damit weiterkomme etc.

Dass es nicht als unkontrollierten Perspektivenbruch wahrgenommen wird, haben zumindest die Testleser bestätigt, aber natürlich wartet der Text noch auf die Überarbeitung und das Lektorat. Die ersten Rückmeldungen haben gezeigt, dass ich zumindest auf dem richtigen Weg bin.

Wie hier schon gemerkt wurde: Es geht tatsächlich nicht um "neue Informationen" in dem geposteten (!) Abschnitt und auch das war von mir durchaus gewollt. Denn ich wollte , dass die Perspektive nicht gleitet, um dem Leser zu zeigen: "Pass auf, jetzt bekommst du neue Infos aus der Sicht einer anderen Figur", sondern damit das Kapitel "gemeinsam" erzählt wird und da wird also auch für ein paar "unwichtige" Sätze geschwebt.

 

Nach dem Experiment bin ich sehr zufrieden mit der Wirkung, die Nutzung des Stilmittels für meine Ziele steht für mich außer Frage. Wie bereits erwähnt, ich habe zuerst tatsächlich versucht, auch diese beiden Kapitel perspektiventechnisch sauber zu trennen, war aber sehr unzufrieden mit der Wirkung. Ob die Wirkung sich bei den meisten Lesern ebenfalls entfaltet wird, ist natürlich schwer zu sagen. Aber das ist grundsätzlich und bei jedem Stilmittel/Figurendarstellung/Plotwendungen etc. so. Die Lektoren werden mir schon sagen, wenn etwas schief ist, in dieser Phase ist für mich erstmal wichtig, ob ich mit dem Text und der Wirkung zufrieden bin.

 

Ich empfand es als sehr bereichernd, es auszuprobieren. Aber grundsätzlich würde ich natürlich ebenfalls dazu raten, damit sparsam umzugehen. Abgesehen von diesen Kapiteln werden die Perspektiven auch weiterhin streng getrennt, das ist ganz sicher kein "Allerlei-Mittel".

 

Liebe Grüße,

Olga

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ich würde hier nicht vom Genre insgesamt sprechen' date=' denn deine eigene Erfahrung mit dem Wechsel ins Präsens an gewissen Stellen zeigt doch, dass es auf den einzelnen Text ankommt. [/quote']

 

Doch, ich finde es schon wichtig, dass man sich klar macht, ob man mit experimentellen Texten oder mit Genres arbeitet. Denn bei einem experimentellen Text kann ich mir mehr erlauben, da der Leser mit einer anderen Erwartungshaltung herangeht. Er ist bereit, einen Satz mehrmals zu lesen. Wenn es um Unterhaltungsliteratur geht, besteht die Kunst darin, diese Stilmittel so einzusetzen, dass der Leser sich in der Geschichte verliert, ein Teil von ihr wird, aber nicht dabei angestrengt oder verwirrt wird. Denn sonst kann er u.U. schnell die Lust an dem Buch verlieren, weil er es für einen anderen Zweck erworben hat, als beispielsweise einen experimentellen Roman.

 

Gruß, Melanie

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Intention und Wirkung des Textes sollten im Idealfall (!) aber identisch sein. Oder: Die Wirkung des Textes ist die Verwirklichung der Intention des Autors beim Leser.

 

Klärt mich (und vermutlich viele andere auch) mal wer auf, was die Intention der schwebenden Perspektive ist?

 

Andrea

 

Die schwebende Perspektive ist ein Werkzeug und hat keine "Intention" sondern eine Wirkung. Diese wurde in diesem Thread weiter oben schon ausführlich dargestellt und mit Beispielen aus veröffentlichten Büchern belegt (Genre und E).

 

Liebe Grüsse

Andreas

 

P.S. Der Bezug zwischen dem Zitat und deiner Frage ist mir allerdings unklar.

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Na ja, aber Andrea S. hat schon insofern recht, als dass es ja einer Intention bedarf, um sich des Stilmittels "schwebender Perspektive" zu bedienen. Das hat Olga ja auch in ihrem Beispiel bestätigt. Nur ist bei Einsatz von Stilmitteln immer die Frage, welches Ziel man am besten mit welchem Mittel erreichen kann.

 

Gruß, Melanie

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Intention und Wirkung des Textes sollten im Idealfall (!) aber identisch sein. Oder: Die Wirkung des Textes ist die Verwirklichung der Intention des Autors beim Leser.

 

Klärt mich (und vermutlich viele andere auch) mal wer auf, was die Intention der schwebenden Perspektive ist?

 

Andrea

 

Die schwebende Perspektive ist ein Werkzeug und hat keine "Intention" sondern eine Wirkung. Diese wurde in diesem Thread weiter oben schon ausführlich dargestellt und mit Beispielen aus veröffentlichten Büchern belegt (Genre und E).

 

Liebe Grüsse

Andreas

 

P.S. Der Bezug zwischen dem Zitat und deiner Frage ist mir allerdings unklar.

 

Darf ich es dann etwas schlichter formulieren?

 

Welche Wirkung erzielt man mit der schwebenden Perspektive?

Also, wenn die Wirkung und Intension identisch sein sollen.

Wie eben oben zitiert.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Liebe Olga,

jetzt melde ich mich auch einmal, weil ichs ja war, die wissen wollte, wie es weitergeht (wie du angemerkt hast). Ich glaube, wenn die Hervorhebungen nicht gewesen wären, hätte ich das Switchen kaum gespürt, dies war ja wohl deine Absicht, als störend oder das "Geheimnis" zerstörend empfand ichs nicht. Durch die Hervorhebungen habe ich aber eher über das "wie" nachgedacht und konnte den Text so nicht unmittelbar auf mich wirken lassen-dies haben ja deine Testleser schon erledigt. Ein, zwei Stellen waren mir unklar. (Wegen der Hervorhebungen, ansonsten hätte ich wahrscheinlich darüber hinweggelesen.)

Am wichtigsten erscheint mir deine Aussage, du hättest beim Schreiben des Kapitels gehangen und die Anwendung dieses Stilmittels habe dein Schiff wieder flottgemacht, weil du spürtest, dass es das Richtige für deinen Text war-schön!! Es entfaltet bestimmt die beabsichtigte unterschwellige Wirkung, weil es ja anscheinend nur in diesen Kapiteln passiert. (Wie die anderen schon anmerken, ein solch kurzer Textausschnitt kann ja gar nicht viel über die Wirkung aussagen.)

Ich wünsche dir frohes Weiterarbeiten und gutes Gelingen

Liebe Grüße Claudia

(bis zu den Haarspitzen im eigenen Text, sollte hier eigentlich gar nicht...und tut es doch. Wie nennt man das??)

PS Noch einen Extragruß an Angelika in Olgas alter Heimat...

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Seither bin ich sehr kritisch' date=' wann es überhaupt notwendig ist, eine schwebende Perspektive einzusetzen, zumal es für solche Fälle ja auch die auktoriale gibt.[/quote']

 

Liebe Melanie,

die auktoriale Perspektive ist etwas anderes, als eine schwebende/gleitende/sich verschiebende Perspektive. Bei der gleitenden Perspektive finden die Wechsel nur von einer personalen (wir sind nur in der Sicht der Figur drin) zu einer anderen personalen (wir sind hier auch wieder nur in der Sicht dieser Figur drin) Perspektive statt. Also - wie Charlie es schon mal in diesem Thread erklärt hat - es wird von internal/personal zu internal/personal gewechselt, und NICHT zu external/auktorial. Und genau das hat Olga auch gemacht. Sie wechselt von einer personalen Perspektive in eine andere personale Perspektive und wird dabei eben nicht auktorial. Beziehungsweise nur in einem Satz, der meiner Meinung nach nicht sauber gearbeitet ist und eine auktoriale Haltung einnimmt:

Ihr Blick schoss zu ihm herauf und traf auf sein Grinsen.

Das können meiner Meinug nach beide Figuren so nicht richtig wahrnehmen und ist für mich daher ein Blick von aussen auf sie drauf.

 

Dazu kommt, dass eine auktoriale Erzählperspektive meiner Meinung nach eine andere Wirkung auf den Leser hat als eine schwebende. Es kommt ja hier das Externe dazu, das die Perspektive weitet.

 

An Olgas Beispiel sehe ich auch die Schwierigkeit - ich persönlich bekomme durch das Beispiel keine weiteren Informationen' date=' als ich sie durch eine reine personal gebundene Perspektive hätte. [/quote']

Olgas Perspektive ist in diesem Abschnitt meinem Eindruck nach rein personal gebunden - nur eben nicht immer an dieselbe Figurenperspektive.

 

Liebe Grüsse

Lisa

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Ihr Blick schoss zu ihm herauf und traf auf sein Grinsen.

Das können meiner Meinug nach beide Figuren so nicht richtig wahrnehmen und ist für mich daher ein Blick von aussen auf sie drauf.

 

Danke Lisa, jetzt weiß ich auch, woran ich gehakt habe, ohne dass ich meine Verwirrung wirklich benennen konnte. Das war der fehlende Marker, weil die Perspektive hier nicht sauber getrennt war und ich deshalb unbewusst gleich an auktorial dachte. Genial, wie du das so schnell aufgespürt hast.

 

Gruß, Melanie

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Darf ich es dann etwas schlichter formulieren?

 

Welche Wirkung erzielt man mit der schwebenden Perspektive?

Also, wenn die Wirkung und Intension identisch sein sollen.

Wie eben oben zitiert.

 

Was man mit ihr erzielen will, liebe Andrea, hängt auch immer von der Geschichte ab. Die gleitende/schwebende/sich verschiebende Perspektive kann man unterschiedlich dosiert einsetzen. In dem Roman "Die Stunden" von Michael Cunningham unterstützt die schwebende Perspektive beispielsweise die Haltlosigkeit der drei Figuren. Alle drei leiden daran, dass sie in ihrem Leben nicht wirklich verankert sind, vieles ist in der Schwebe, scheint ihnen zu entgleiten. Das setzt Cunningham auf der Sprachebene durch diese Perspektivwahl fort. In dem Roman "Alle, alle lieben dich" von Stewart O`Nan unterstützt die schwebende Perspektive - anders dosiert als bei Cunningham - dagegen die Ungewissheit, an der die Familie seit dem Verschwinden der Tochter/Schwester leidet, von der sie nicht wissen, ob sie tot ist oder noch lebt. In dem Krimi "Das Schiff" von Stefan Mani unterstützt die schwebende Perspektive dagegen das Gefühl, keine der Figuren so richtig greifen zu können, denn jede von ihnen hat ein eigenes Geheimnis und ein eigenes Ziel, das sie in der extremen Situation auf dem Schiff verfolgt, und ist dadurch unberrechenbar. Usw.

 

Liebe Grüsse

Lisa

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@Claudia

 

oder das "Geheimnis" zerstörend empfand ichs nicht

Das ist auch ein ganz wichtiger Aspekt, warum ich mich für die schwebende Perspektive entschieden habe. In diesen zwei Kapiteln haben sie keine Geheimnisse voreinander (bzw. blenden diese aus). Und gerade im nächsten Kapitel, wo die Perspektiven wieder sauber getrennt werden, bringt ein großes Geheimnis so einiges ins Rütteln.

 

Am wichtigsten erscheint mir deine Aussage, du hättest beim Schreiben des Kapitels gehangen und die Anwendung dieses Stilmittels habe dein Schiff wieder flottgemacht, weil du spürtest, dass es das Richtige für deinen Text war-schön!!

Es war auch so, dass ich ursprünglich darüber nachgedacht habe, was ich denn hier brauche, warum der Text nicht so will, wie ich. Von der schwebenden Perspektive habe ich noch nichts gewusst. Daher habe ich hier einen eigenen Thread aufgemacht, in dem ich fragen wollte, wie man das denn umsetzen könnte, was mir da "vorschwebt". Es war also eine ganz andere Vorgehensweise als "Hey, cooles Stilmittel, mal sehen, wo ich das reinquetschen kann." :)

 

@Lisa

Beziehungsweise nur in einem Satz, der meiner Meinung nach nicht sauber gearbeitet ist und eine auktoriale Haltung einnimmt

Danke für den Hinweis. Stimmt, da bin ich draußen, wird korrigiert. Das war die schwierigste Phase bei der Umsetzung, wo man hinausgleitet, aber aufpassen muss, dass man nicht zu weit rausrutscht.

 

Liebe Grüße,

Olga

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Darf ich mich noch mal als Grammatiktante dazu äußern?

Bei dem inkriminierten Satz liegt es in meinen Augen an einem einzigen Partikelchen, das durchaus klarstellen kann, wo die Perspektive liegt:

 

Ihr Blick schoss zu ihm herauf und traf auf sein Grinsen.

 

Das sieht ER. Der Blick kommt zu ihm HER. Und dass er grinst, sieht nicht nur sie, das weiß er selbst.

 

Ihr Blick schoss zu ihm hinauf und traf auf sein Grinsen.

 

Jetzt sind wir bei IHR. Ihr Blick geht weg von ihr, HIN zu ihm. Und SIE ist es dann auch, die sein Grinsen sieht.

 

Oder hattest du noch was anderes gemeint, Lisa?

 

Was für ein spannender Thread. Und ich sitze hier im russischen Abend und lese mit. Viele Grüße an alle und speziell Claudia von

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Danke, Lisa, Deine Erklärung ist sehr einleuchtend.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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[ In dem Roman "Alle' date= alle lieben dich" von Stewart O`Nan unterstützt die schwebende Perspektive - anders dosiert als bei Cunningham - dagegen die Ungewissheit, an der die Familie seit dem Verschwinden der Tochter/Schwester leidet, von der sie nicht wissen, ob sie tot ist oder noch lebt. [/quote]

 

Bitte nicht boese sein, aber - meiner Ansicht nach stimmt das nicht. Ich bin seit "Snow Angels" ganz grosser Fan von Stewart O'Nan und um ehrlich zu sein, halte ich es einfach fuer etwas, das dieser Autor gern tut (und wundervoll kann). Er setzt es ein, lange bevor die Tochter in dieser Geschichte verschwindet, er setzt es in anderen Romanen ein, es ist einfach ein Klavier, auf dem er spielen kann. Da klappert nichts (heisst: es entsteht kein Textnebengeraeusch), da riecht nichts nach gewollt, aber nicht gekonnt, da denkst du nicht darueber nach: Warum hat'n der das jetzt gemacht? Es ist einfach etwas, das zu diesem Autor und diesem Text gehoert.

Ich rede nicht der Willkuerlichkeit das Wort, bitte nicht falsch verstehen.

Aber ich denke, dass etwas so Spezielles wie Shifting View Point schon auch etwas ist, das zum Erzaehlton bestimmter Autoren passt und zu anderen eben nicht. Um mal ein Beispiel aus der Unterhaltungsliteratur zu nennen: Kirsten Schuetzhofer ist eine, bei der das voellig natuerlich laeuft, nicht verwirrt, nicht klappert, einfach "stimmt".

 

Es ist fraglos ein spannendes Mittel. Aber auch eins, das - denke ich! - oefter in die Hose geht als ins Toepfchen.

 

Herzlich,

Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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P.S.: Sagen wollt' ich damit: Bei vielen Autoren, bei denen wir's moegen, koennen wir in der Analyse zwar gewisse Intentionen vermuten - wenn wir aber eine breite Palette von vergleichbaren Beispielen ansehen, stellen wir schlicht fest, dass es - sowohl im Genre als auch in der genrefreien Literatur - Autoren gibt, die es tun, und andere, die es nicht tun. Relativ unabhaengig von der Romansituation.

 

Herzlich,

Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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[ In dem Roman "Alle' date= alle lieben dich" von Stewart O`Nan unterstützt die schwebende Perspektive - anders dosiert als bei Cunningham - dagegen die Ungewissheit, an der die Familie seit dem Verschwinden der Tochter/Schwester leidet, von der sie nicht wissen, ob sie tot ist oder noch lebt. [/quote]

 

Bitte nicht boese sein, aber - meiner Ansicht nach stimmt das nicht. Ich bin seit "Snow Angels" ganz grosser Fan von Stewart O'Nan und um ehrlich zu sein, halte ich es einfach fuer etwas, das dieser Autor gern tut (und wundervoll kann). Er setzt es ein, lange bevor die Tochter in dieser Geschichte verschwindet, er setzt es in anderen Romanen ein, es ist einfach ein Klavier, auf dem er spielen kann. Da klappert nichts (heisst: es entsteht kein Textnebengeraeusch), da riecht nichts nach gewollt, aber nicht gekonnt, da denkst du nicht darueber nach: Warum hat'n der das jetzt gemacht? Es ist einfach etwas, das zu diesem Autor und diesem Text gehoert.

 

Liebe Charlie,

ist doch kein Problem, wenn wir verschiedener Meinung sind! Dafür ist doch der Austausch hier da. Ich hab auch vieles von Stewart O`Nan gelesen, u.a. erst im Januar mal wieder "Engel im Schnee" und bisher hab ich bei ihm diese Perspektive nur in "Alle, alle lieben dich" gefunden. In welchem Roman verwendet er diese Perspektive denn noch? Das würde ich sehr gerne lesen, denn diese Perspektive gibt es ja eher selten und jedes Buch, das ich dazu finde, freut mich.

 

Stewart O`Nan fasziniert mich gerade, weil er bei jeder Geschichte, die ich bisher von ihm gelesen habe, immer eine andere Erzählweise gewählt hat, eine, die für mich zu der jeweiligen Geschichte passt (wie z.B die Du-Perspektive + das Präsens bei "Das Glück der anderen" oder die Ich-Erzähler in "Halloween" oder den Ich-Erzähler + Präteritum und den personalen Erzähler + Präsens in "Engel im Schnee" oder den personalen Erzähler + Präteritum in "Der Sommer der Züge" oder die Icherzählerin (Tonbandaufnahmen) in "Speed Queen" oder der personale Erzähler aus nur einer Figurenperspektive in "Letzte Nacht", usw.). Ich hatte gerade bei ihm nicht den Eindruck, dass er ein bevorzugtes Stilmittel hat, das er mehrfach, von der Geschichte unabhängig einsetzt. Ist aber nur mein bisheriger Leseeindruck und mir fehlen ja auch noch Bücher von ihm.

 

Und ja, in "Alle, alle lieben dich" setzt er die gleitende Perspektive von Anfang an ein - in allen drei Beispielen, die ich gegeben habe, wird diese Perspektive von Anfang an eingesetzt und bis zum Ende durchgezogen - was meiner Meinung nach trotzdem mit meiner Interpretation zusammen passt. Denn Kim verschwindet ja schon nach wenigen Seiten, und selbst als sie noch da ist, kann ich sie irgendwie nicht richtig greifen, entzieht sie sich mir. Nur mein Eindruck!

 

Für mich ist die gleiten Perspektive etwas, das ich gezielt und nur an wenigen Stellen einsetzen, mit der ich aber auch einen ganzen Roman erzählen kann. Sie ist dann für mich nichts anderes als zum Beispiel ein distanzierter Ich-Erzähler. Oder ein naher personaler Erzähler. Oder... Und genau wie diese muss sie für mich zur jeweiligen Geschichte passen und diese unterstützen. Michael Cunningham verwendet sie öfter für einen ganzen Roman, aber immer leicht abgewandelt bzw. anders dosiert. Das hängt meiner Meinung nach aber damit zusammen, dass diese Romane dann dasselbe Thema haben.

 

Liebe Grüsse

Lisa

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P.S.: Sagen wollt' ich damit: Bei vielen Autoren' date=' bei denen wir's moegen, koennen wir in der Analyse zwar gewisse Intentionen vermuten - wenn wir aber eine breite Palette von vergleichbaren Beispielen ansehen, stellen wir schlicht fest, dass es - sowohl im Genre als auch in der genrefreien Literatur - Autoren gibt, die es tun, und andere, die es nicht tun. Relativ unabhaengig von der Romansituation.[/quote']

 

Liebe Charlie,

 

du willst damit doch wohl nicht sagen, dass Stilmittel beliebig, unabhängig von der Geschichte und dem Thema usw., eingesetzt werden (können)?

 

Natürlich wählt sich jeder Autor nach seinem Temperament und seinen ästhetischen Absichten seine Stilmittel. Das heisst, der eine versucht z. B. eine Stimmung so auszudrücken, der andere eben anders. Die Wirkung der verschiedenen Stilmittel bleibt davon doch unberührt. Das macht ja die Individualität von Autoren und Geschichten aus. Die Wahl des jeweiligen Stilmittels wird meiner Meinung nach von der Romansituation geleitet. Eine bedrohliche Situation lässt sich z. B. eben auf unterschiedliche Weise mit unterschiedlichen Stilmitteln erzählen.

 

Liebe Grüsse

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Vom Thema abweichende Antworten wurden in [link=http://autorenforum.montsegur.de/cgi-bin/yabb/YaBB.pl?num=1302944955/#]dieses Thema verschoben.[/link]

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[du willst damit doch wohl nicht sagen, dass Stilmittel beliebig, unabhängig von der Geschichte und dem Thema usw., eingesetzt werden (können)?

 

 

Nein, ganz sicher nicht.

Auch wenn ich zugeben muss, dass mein Zeugl sich so liest.

Sagen wollte ich viel eher, dass wir ueber die Intentionen von Autoren spekulieren koennen, wohingegen wir die Wirkung, die ein Text auf uns hat, exakt beschreiben koennen. (Und ich habe z.B. Stewart O'Nans Kim als sehr greifbar empfunden - ich schaetze die Wirkung der Perspektivfuehrung in dem speziellen Buch anders ein.)

Und sagen wollt' ich auch, dass womoeglich die Entscheidung fuer ein Stilmittel mehr mit der Autorenpersoenlichkeit als mit allem anderen zu tun hat. (Ich finde es sehr auffaellig, dass sich bestimmte Dinge bei manchen Autoren so gehaeuft, bei anderen hingegen gar nicht finden) Und dass fuer mich persoenlich die organische Wirkung eines eingesetzten Mittels ein entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung ist. Heisst konkret: Ich moechte lesend nicht merken, dass hier ein Mittel verwendet wurde! Oder auch: Es darf nicht klappern.

Weshalb ich mit der bewussten, allein intentionsbezogenen Entscheidung fuer eine so heikle Perspektivfuehrung Schwierigkeiten habe.

Aber das zu verallgemeinern liegt mir fern.

 

Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

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