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(Claudia)

Unterschied zwischen auktorialer und personaler Perspektive

Empfohlene Beiträge

Hallo zusammen!

 

Trotz aller Recherche auch hier im Forum ist mir der Unterschied zwischen auktorialer und personaler Perspektive nicht immer klar.

Theoretisch ist es einfach - auktorial = allwissender Erzähler; personal = jeweils die Perspektive eines Protagonisten.

Personal erlaubt auch, dass man Kapitel 1 aus Lieses Sicht und Kapitel 2 aus Peters erzählt. Man kann sogar innerhalb eines Kapitels wechseln, szenenweise, etwa getrennt durch eine Leerzeile.

Wenn man aber absatzweise wechselt, gerät man in gefährliches Fahrwasser.

Beispiel:

Peter freute sich auf Liese. Schon klingelte sie an der Tür, und er stürmte zum Eingang.

Als Liese hörte, wie Peter aufschloss, begann ihr Herz zu pochen. Würde ihre neue Frisur Peter gefallen?

 

Was unterscheidet dieses Beispiel von auktorialer Erzählweise? Wie müsste ich das Beispiel ändern, um ins Auktoriale zu gelangen?

 

Dann gibt es Szenen, in denen derlei Perspektivwechsel erlaubt sind, vornehmlich in Ping-Pong-Dialogen zwischen Männlein und Weiblein. Ich habe das grade wieder bei Nora Roberts gelesen.

Manche Autoren nehmen auch in anderem Zusammenhang solche Perspektivwechsel innerhalb einer Szene vor, als würde es keine Regeln geben. Wie starr sind diese Regeln also?

Was, wenn ich drei Protagonisten habe, die gleichwertig und oft Ping-Pong-Dialoge führen wie bei Nora Roberts? Kann ich dann durchgehend solche Wechsel schreiben?

Kommt es letztlich nur darauf an, dass man problemlos mitbekommt, wer gerade erzählt? Oder gerate ich, sofern ich derlei Peter-und-Liese-Wechsel schreibe, automatisch in die auktoriale Schreibweise, deren Regeln ich dann befolgen muss?

 

Neugierige Grüße

Claudia

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Peter freute sich auf Liese. Schon klingelte sie an der Tür, und er stürmte zum Eingang.

Als Liese hörte, wie Peter aufschloss, begann ihr Herz zu pochen. Würde ihre neue Frisur Peter gefallen?

 

Dass sich Peter freut, ist eine Behauptung. Dass SIE an der Tür klingelt, ebenfalls. Es könnte ja auch der Postbote sein, er weiß es nicht, sofern er nicht Röntgenaugen hat. Er stürmte zum Eingang ist auch eine Behauptung. Diese Sequenz ist m.E. auktorial. Sie wird aus einer externen Beobachtungstelle heraus berichtet.

 

Liese hingegen hört, und fühlt und hat innere Zweifel. Sie schildert personal.

 

Was unterscheidet dieses Beispiel von auktorialer Erzählweise? Wie müsste ich das Beispiel ändern, um ins Auktoriale zu gelangen?

 

Vor der Tür stand Liese mit klopfendem Herzen und einer neuen Frisur.

 

 

Dann gibt es Szenen, in denen derlei Perspektivwechsel erlaubt sind, vornehmlich in Ping-Pong-Dialogen zwischen Männlein und Weiblein. Ich habe das grade wieder bei Nora Roberts gelesen.

 

Nora Roberts hat meine große Achtung, sie besitzt ein imenses erzählerisches Talent - eine nachahmenswerte Koryphäe in Sachen Perspektive ist sie wirklich nicht, das ist eine der Schwächen, die mich bei ihr sehr stören.

 

Manche Autoren nehmen auch in anderem Zusammenhang solche Perspektivwechsel innerhalb einer Szene vor, als würde es keine Regeln geben. Wie starr sind diese Regeln also?

 

Nein, natürlich gibt es keine in Stein  gehauenen Regeln, aber es gibt elegante Methoden und weniger elegante. Die Perspektive konsequent beizubehalten erfordert vom Autor Disziplin, ständige unmotivierte Wechsel deuten auf schlampiges Schreiben hin.

 

Was, wenn ich drei Protagonisten habe, die gleichwertig und oft Ping-Pong-Dialoge führen wie bei Nora Roberts? Kann ich dann durchgehend solche Wechsel schreiben?

Kommt es letztlich nur darauf an, dass man problemlos mitbekommt, wer gerade erzählt? Oder gerate ich, sofern ich derlei Peter-und-Liese-Wechsel schreibe, automatisch in die auktoriale Schreibweise, deren Regeln ich dann befolgen muss?

 

Siehe oben.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo Claudia,

 

ich geh erst mal allgemein an deine Frage heran.

 

Der auktoriale Erzähler ist ein übergeordneter Erzähler, der sich ganz deutlich und präsent zwischen die erzählte Geschichte und den Leser schiebt. Er tritt als Erzähler in Erscheinung, kommentiert das Geschehen und ist nicht Teil der Geschichte, sondern erzählt sie.

 

Beispiel aus Nicholas Blake, Was zu beweisen ist (Diogenes):

 

Der Roman beginnt so:

"Wir befinden uns in einem Schlafzimmer in Sudeley Hall, einer Preparatory School. Nicht in einem jener luftigen, grüngestrichenen, betont hygienischen Schlafsäle, die auf die wissenschaftsgläubigen Gemüter moderner Eltern so beruhigend wirken, sondern in einem der Schlafzimmer (...)"

 

Ein wenig später heißt es:

"(...) Ein Monolog, aus welchem der aufmerksame Leser folgern kann, dass Michael Evans auf Farben empfindlich reagiert und dass er so etwas wie ein Radikaler ist, wie man so schön sagt (...)"

 

Hier hört man beides Mal den Erzähler sprechen. Er erzählt über die Figur und wo die sich befindet, er kommentiert das Geschehen. Er kann aber auch passagenweise in die Figur schlüpfen und ihre Gedanken wiedergeben.

 

Der personale Erzähler hingegen tritt hinter die jeweilige Figur, aus deren Perspektive erzählt wird, zurück. Es wird die Illusion erzeugt, dass die Perspektivfigur das, was erzählt wird, wahrnimmt. Der Erzähler sitzt entweder auf ihrer Schulter und schaut aus ihrem Blickwinkel, oder verschmilzt ganz mit ihr (da hätten wir wieder die Stichworte erlebte Rede und innerer Monolog ;) ).

 

Wenn nun ein Genreautor/eine Genreautorin in personaler Erzählweise schreibt, aber innerhalb einer Szene die Perspektive munter wechselt, so halte ich das auch schlicht für unsauberes Arbeiten. Ich lege solche Bücher weg, weil ich mich weder in die Geschichte einfühlen kann, noch beim Lesen Spaß habe. Perspektivwechsel innerhalb einer Szene sollte man einfach vermeiden. Man kann aber durchaus eine Szene aus der Sicht von einer Figur und die Folgeszene aus der Sicht einer anderen Figur schreiben - aber auch da genau überlegen: Welche Figuren sind für die Geschichte so wichtig, dass sie eine eigene Perspektive bekommen dürfen.

 

Viele Grüße

Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Dann gibt es Szenen, in denen derlei Perspektivwechsel erlaubt sind, vornehmlich in Ping-Pong-Dialogen zwischen Männlein und Weiblein. Ich habe das grade wieder bei Nora Roberts gelesen.

Manche Autoren nehmen auch in anderem Zusammenhang solche Perspektivwechsel innerhalb einer Szene vor, als würde es keine Regeln geben. Wie starr sind diese Regeln also?

 

Andrea und Susann haben es schon sehr gut erklärt.

Frage: Wer erlaubt solche Pespektivwechsel innerhalb von Szenen, manchmal sogar innerhalb eines Satzes? Mich hat so etwas nicht nur bei Nora Roberts gestört, sondern auch bei George Martin und Tolstoi. Es stört einfach den Lesefluss und nötigt mir als Leserin zu viele "Sprünge" zu. Nicht alles, was in erfolgreichen Büchern vorkommt, ist also ein eleganter "Regelbruch".

 

LG

Christa

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@Andrea: Dein Urteil über Nora Roberts und ihre Perspektivwechsel - innerlich schmunzelnd stimme ich dir zu. Mich haben diese Ping-Pong-Wechsel auch eher irritiert, trotzdem sind sie für mich ein Anlass, da genauer nachzuhaken.

Sie ist ja nicht die Einzige mit derlei Wechseln, ich habe auch im Schimmelreiter von Storm oder in Maigret-Krimis Wechsel gefunden, die mich frappiert haben.

 

Nun kann man natürlich sagen: alles schlampig, die Altvorderen wussten es nicht besser etc. Trotzdem existiert diese Literatur, sie ist lesbar, oft sogar sehr schön zu lesen, trotz oder wegen dieser Wechsel.

Und darum beschäftige ich mich mit dem Thema, weil ich halt wissen möchte, wie die Grenzen im Konkreten zum auktorialen Schreiben verlaufen.

 

Nun hast du Peters Absatz aus meinem Beispiel für auktorial erklärt. Heißt das, die Gesamtszene kann so bleiben, da Peters Beschreibungen und Lieses Personensicht sich nicht widersprechen?

Man kann es ja auch umformulieren: Peter fragte sich, ob etwa Liese an der Tür stand, und eilte hin...

Und dann? Wie sieht es dann aus?

Sind das die verbotenen Perspektivwechsel, sodass ich dann besser grundsätzlich die auktoriale Sicht wähle?

 

Susanns Beispiele von auktorialem Text sind sehr eingängig (danke, Susann, das hilft mir weiter ;) ), aber es zeigt mir, dass auktorial nicht mein Ding ist. Da schwingt zu viel Erzählerdistanz mit.

 

Wenn ich also Peter und Liese auktorial schildere, habe ich nichts gewonnen. In diesem banalen Beispiel ist es zwar okay, wenn ich nur Peter oder nur Liese beschreiben würde - aber es gibt ja Situationen, in denen entsteht der eigentliche Szenenwitz daraus, dass man als Leser beide Gedankenseiten erfährt. Eben Ping-Pong-Spiel.

 

Und dann?

Ein no go, da grundsätzlich schlampig?

 

Hmmm :-?

 

Claudia

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@Christa: Bevor ich Montsegur beitrat, hatte ich keine Ahnung von Perspektivwechseln. Ich habe einfach gelesen und Perspektivwechsel kaum bemerkt. Also haben sie mich damals nicht gestört - und ich nehme an, dass es vielen Lesern so geht.

Erst jetzt ist mein Blick dafür geschärft.

Sicher ist es richtig, wenn man als Autor darauf achtet, Perspektiven richtig einzusetzen, damit der Leser gute Literatur erhält. Und gerade deshalb frage ich, wie und wo die Grenzen verlaufen und welche Tricks es gibt, um doch zu schreiben, was man zu sagen hat.

 

LG

Claudia

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Wobei Lisa ein paar schöne Beispiele in ihrem Workshop in Oberursel zum Thema "Schwebende Perspektive" brachte und auf anschauliche Weise erklären konnte, dass eine schwebende Perspektive, wenn sie so gut gemacht ist, dass man die Wechsel nicht im Lesefluss bemerkt, ein großartiges stilistisches Mittel sein kann. Man muss es nur richtig machen.

 

Gruß, Melanie

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Peter freute sich auf Liese. Schon klingelte sie an der Tür, und er stürmte zum Eingang.

Als Liese hörte, wie Peter aufschloss, begann ihr Herz zu pochen. Würde ihre neue Frisur Peter gefallen?

 

 

Guten Morgen,

 

ich bin kein Perspektivenexperte, aber aus meiner Sicht geht im obigen Beispiel noch mehr kunterbunt durcheinander. Während im zweiten Teil die personale Perspektive von Liese eingenommen wird, beginnt der erste Teil für mich ebenfalls personal mit der Perspektive von Peter - "er freute sich" - während mir  "schon klingelte sie an der Tür" auktorial vorkommt, aber auch das könnte - aus seiner Perspektive empfunden sein, was sich aber vielleicht nur im Gesamtkontext entscheiden ließe..

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Hallo Claudia,

 

Sie ist ja nicht die Einzige mit derlei Wechseln, ich habe auch im Schimmelreiter von Storm oder in Maigret-Krimis Wechsel gefunden, die mich frappiert haben.

 

Der Schimmelreiter hat doch einen Ich-Erzähler, dem wiederum eine Geschichte erzählt wird ... ich sehe da keinen unsauberen Umgang mit Erzählperspektiven. :-?

 

Wo ich hingegen manchmal diesen unsauberen Umgang finde ist in Genreliteratur, wie du sie ganz oben ja auch als Beispiel bringst. Natürlich kann man alles machen, wenn die Leser einem folgen. Das saubere Einhalten von Perspektiven aber hat den Vorteil, dass sich die Leser besser mit der jeweiligen Figur identifizieren können, auch emnotional besser mit der Geschichte mitgehen - und das geschieht ganz unbewusst, wenn man diese Mechanismen nicht kennt. Bei Romanen, die die Perspektive nicht sauber einhalten, kommen dann manchmal Urteile wie: "Ja, war ganz spannend, aber mir kamen die Figuren nicht nahe" oder so. Kann sein, muss nicht. Wie genau man da arbeiten möchte, muss jeder selbst entscheiden.

 

@Melanie: Schwebende Perspektive?! Kannst du das näher erklären?

 

Gruß Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Wobei ich es durchaus interessant finde, dass eine Autorin, die sich derartiger Sprünge bedient, so große Erfolge hat - kann es sein, dass den Lesern Perspektivsprünge, wenn sie gut gemacht sind, gefallen?

 

Gruß, Melanie

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[quote author=Claudia link=1252127876/0#4 date=1252139291 Dein Urteil über Nora Roberts und ihre Perspektivwechsel - innerlich schmunzelnd stimme ich dir zu. Mich haben diese Ping-Pong-Wechsel auch eher irritiert, trotzdem sind sie für mich ein Anlass, da genauer nachzuhaken.

Sie ist ja nicht die Einzige mit derlei Wechseln, ich habe auch im Schimmelreiter von Storm oder in Maigret-Krimis Wechsel gefunden, die mich frappiert haben.

 

Zum oben genannten Beispiel wurden schon richtige Antworten gegeben, deshalb gehe ich nicht näher darauf ein.

Zum Perspektivwechsel möchte ich anmerken, dass sie gerade bei Klassikern häufig als Stilmittel eingesetzt werden und keineswegs mit schlampiger Arbeit zu tun haben. Zum Beispiel im Buch "Berlin Alexanderplatz", von Alfred Döblin, ist das deutlich zu erkennen. Die Perspektivwechsel fordern viel Aufmerksamkeit und Konzentration vom Leser, wollen ihn aber auf inhaltliche Besonderheiten aufmerksam machen und gestalten den Text deshalb sehr interessant. Klar, muss der Leser permanent wach bleiben, damit er weiß, aus welcher Sicht gerade erzählt wird, doch anspruchslose Literatur gibt es genug, ich denke, der Leser darf und soll auch gefordert werden. Das soll nicht heißen, dass jede Perspektive an jeder Stelle erlaubt ist, aber Perspektivewechsel grundsätzlich als schlampige Arbeit zu verurteilen, ist meines Erachtens nicht legitim. Viele Autoren setzen die verschiedenen Perspektiven durchaus bewusst ein.  

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Es kommt darauf an, was Du willst. Und dann darauf, diese Entscheidung konsequent umzusetzen.

 

Die Wahl der Perspektive hat u.a. viel mit Dramaturgie zu tun - welche Informationen kann ich aus der gewählten Perspektive preisgeben, welche nicht. Wenn ich eine Geschichte streng aus der Sicht einer Person erzähle, begrenzt das dessen Einblick in Sachverhalte, die der Leser vielleicht ahnt. Daraus kann eine sehr reizvolle Spannung entstehen.

 

Personal zu erzählen bedeutet aber auch, sich in der Preisgabe der Emotionen auf eine Person zu beschränken. Ich kann schreiben, wie er sich fühlt, dass er Angst hat, zögert, das ganze Spektrum. Über seine Gegenüber kann er nur Vermutungen anstellen: "Hans sah aus, als bedrücke ihn etwas". Wissen kann er es nicht.

 

Natürlich kann man die Perspektive wechseln, muss das zuweilen. Innerhalb einer Szene empfinde ich solche Wechsel aber als störend und unsauber.

 

Gruß Eva

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Hallo Margit,

 

Das soll nicht heißen, dass jede Perspektive an jeder Stelle erlaubt ist, aber Perspektivewechsel grundsätzlich als schlampige Arbeit zu verurteilen, ist meines Erachtens nicht legitim. Viele Autoren setzen die verschiedenen Perspektiven durchaus bewusst ein.

 

Es ging im obigen Beispiel aber nicht generell um Perspektivwechsel innerhalb eines Romans/einer Novelle und auch nicht um anspruchsvolle Literatur. Das ursprüngliche Beispiel kam aus der Genreliteratur und bezog sich auf den Perspektivwechsel innerhalb einer Szene. Nur darauf habe ich mich bezogen.

 

@Claudia: Vielleicht ließe sich diese Ping-Pong-Situation, die du ansprichst, ja auch lösen, indem du die Perspektive zum Beispiel des Mannes sauber durchziehst, aber einfügst, was er glaubt, was die Frau denkt. Dadurch könnte vielleicht noch mehr Witz entstehen, als wenn du die Frau tatsächlich denken lässt. Nur so eine Idee.

 

Gruß Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Sicher ist es richtig' date=' wenn man als Autor darauf achtet, Perspektiven richtig einzusetzen, damit der Leser gute Literatur erhält. Und gerade deshalb frage ich, wie und wo die Grenzen verlaufen und welche Tricks es gibt, um doch zu schreiben, was man zu sagen hat.[/quote']

 

Da es mich interessiert, habe ich gerade nach einem Beispiel gesucht.

Patrick Süskind schreibt in seinem Parfum aus der auktorialen Pespektive, die schwebt also ständig beim Lesen mit. Aus der Totale geht er immer wieder in Szenen rein.

Die Übergabe des Mörder-Säuglings findet zunächst in der personalen (Terriers) Perspektive statt. Dann kommt ein Perspektivenwechsel.

 

"Gut riecht er", sagte die Amme.

"Was heißt gut?", brüllte Terier sie an. "Gut riecht vieles. Ein Bund Lavendel riecht gut. Suppenfleisch riecht gut. Die Gärten von Arabien riechen gut. Wie riecht ein Säugling, wollte ich wissen?"

Die Amme zögerte. Sie wusste wohl, wie Säuglinge rochen, sie wusste es ganz genau, sie hatte doch schon Dutzende genährt, gepflegt, geschaukelt, geküsst...sie konnte sie nachts mit der Nase finden, sie trug den Säuglingsgeruch selbst jetzt deutlich in der Nase. Aber sie hatte ihn noch nie mit Worten bezeichnet.

"Na?", bellte Terrier und knipste ungeduldig an seinen Fingernägeln." (S.16)

 

Da hat mich der Perspektivwechsel nicht gestört, wahrscheinlich, weil die auktoriale Perspektive die Vorherrschende ist. Mir ist das-wie dir-früher nicht so aufgegangen. In der personalen Perspektive spielt sich alles im Kopf der jeweiligen Person ab, wird aus ihren Augen gesehen.

 

LG

Christa

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Hallo Susann,

 

Es ging im obigen Beispiel aber nicht generell um Perspektivwechsel innerhalb eines Romans/einer Novelle und auch nicht um anspruchsvolle Literatur. Das ursprüngliche Beispiel kam aus der Genreliteratur und bezog sich auf den Perspektivwechsel innerhalb einer Szene.

 

Es stimmt, im obigen Beispiel ging es nicht generell um Perspektivwechsel, in den folgenden Beiträgen jedoch wurde diese Frage aufgeworfen.

Auch der Perspektivwechsel innerhalb einer Szene ist kein Problem, wenn er gezielt eingesetzt wird (Alfred Döblin, Günter Grass und andere Schriftsteller haben das in ihren Werken immer wieder praktiziert) und sich dem Leser erschließt. Wilde Wechsel, ohne jeglichen Sinn, machen den Text dagegen nur schlecht lesbar.

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Schlampig geschrieben ist alles das, bei dem der Autor nicht weiß, was er tut.

 

Weiß er es und setzt es bewusst ein, ist es nicht schlampig, sondern oft genial.

 

Anfänger wissen meist nicht, was sie tun und schlampen.

 

Ist mir auch passiert. Bis mich jemand mal draufgestupst hat. Seither diszipliniere ich mich und setze Perspektivewechsel dann ein, wenn sie nötig oder sinnvoll sind.

 

Das Beispiel, das Claudia genannt hat, zeigt m.E. einen schlampigen Umgang mit der Perspektive an. Nora Roberts ist eine Vielschreiberin, bei der Geschwindigkeit vor Sorgfalt geht - so mein Eindruck. Man nimmt es hin, weil sie mit ihren Geschichten einen Nerv trifft, weshalb die meisten Leser diese Schlampigkeit gar nicht merken.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo Margit,

 

ich rede von Genreautoren, nicht von anspruchsvollen Literaten wie Grass oder Döblin und habe das oben auch deutlich gesagt:

Wenn nun ein Genreautor/eine Genreautorin in personaler Erzählweise schreibt,

 

Deshalb bitte ich dich darum, meine Aussagen nicht missverständlich zu verallgemeinern. Wenn wir über anspruchsvolle Literatur reden wollen, sollten wir ein neues Thema eröffnen, denn ich denke, hier ging es um etwas anderes.

Anspruchsvolle Literatur folgt anderen Wegen als Genreliteratur, das ist zumindest meine Meinung. Wenn eine Liebesromanze plötzlich im Stil eines Günter Grass geschrieben würde, glaube ich nicht, dass das übliche Leserpublikum von Liebesromanzen davon begeistert wäre - und umgekehrt.

 

Ansonsten schließe ich mich Andreas Meinung an.

 

Gruß Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Hallo Susann,

 

Deshalb bitte ich dich darum' date=' meine Aussagen nicht missverständlich zu verallgemeinern. [/quote']

 

Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich in meinem ersten Beitrag in diesem Thread Claudia zitiert, die durchaus die grundsätzliche Frage nach dem Sinn von Perspektivwechseln aufgeworfen hat. Wenn du dich von meinem Beitrag angesprochen fühlst, ist das in Ordnung, aber ich bin nicht näher auf einen deiner Beiträge eingegangen, deshalb bitte ich dich, auf dem Teppich zu bleiben.

Ich hatte nie die Absicht deine Aussagen missverständlich zu verallgemeinern und habe das auch nicht getan.

Warum sich Genreliteratur nicht auch Stilmitteln bedienen kann und sollte, kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Auch diese Literatur widmet sich nicht selten gesellschaftlichen Themen und genügt damit höheren Ansprüchen. Autoren können Perspektivwechsel immer einsetzen, wenn sie den Blick des Lesers auf eine besondere Gegebenheit lenken möchten. Wo ist das Problem?

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Hallo, zusammen

 

Ich bin beileibe kein Pespektivenexperte, habe aber vor Unzeiten irgendwo von einer angeblich sicheren Methode gelesen, eine personale Perspektive zu erhalten, und gebe diese bislang ungeprüft weiter: Alles im Ich schreiben und dann "ich" durch er oder sie ersetzen.

 

Für deinen ersten Satz würde das bedeuten:

 

Peter freute sich auf Liese. Schon klingelte sie an der Tür, und er stürmte zum Eingang.

 

Ich freute mich auf Liese. Schon klingelte es an der Tür, und ich stürmte zum Eingang.

(Es, weil ich nicht wissen kann, wer vor der Tür steht. Ich sitze ja im Zimmer und kann es nicht sehen.)

 

Ich wird durch Er oder den Namen ersetzt:

 

Peter freute ich auf Liese. Schon klingelte es an der Tür, und er stürmte zum Eingang.

 

Das sollte dann eine saubere personale Perspektive sein. Der Fehler lag also nur im "sie klingelte", wie jueb schon vermutet hat.

 

Ob das natürlich für einen längeren Text so gut funktioniert, weiß ich nicht, wie gesagt.

 

Liebe Grüße,

Heiko

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Falcon Peak - Wächter der Lüfte. Ein spannendes Fantasy-Abenteuer für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren und jung gebliebene Erwachsene. ArsEdition, 01.03.2021

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@Heiko: was ein kleines Wörtchen doch bewirken kann... du hast ja so recht. Es statt Sie. Als ich deinen Beitrag eben las, passierte in meinem Innern enorm viel... mir wurde nämlich klar, wie ich beim Entwerfen des Beispiels gefühlt hatte: Ich wollte was wählen, das möglichst kurz ist. Und darum habe ich mit dem Sie im Grunde alles zusammengefasst, was tatsächlich nur in meinem Kopf ablief: dass Peter Lieses typische Schritte hören kann, sie durch eine Milchglastür schon an der Silhouette erkennt ...

 

Durch die Verkürzung des Textes entstand dann die Ungenauigkeit. Das werde ich mir merken.

 

@all: Danke für eure aufschlussreichen Antworten. Das hat mir sehr weitergeholfen.

 

LG

Claudia

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Wenn beides personale Perspektive ist, frage ich mich, wieso sie durch die Tür sehen kann, dass er sie aufschließt?

Es könnte doch jemand anderer aufschließen. Sein Untermieter, seine Mutter, sein Sohn, seine Ehefrau, ...

Derzeit in Schreibpause... mit immer wieder Versuchen, dieses Sumpfloch zu verlassen

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Ich möchte mich Andrea anschließen. Ich empfinde das "head hopping" auch als schlampig. Erfolgsautoren wie Nora Roberts machen noch mehr "Fehler", zum Beispiel liebt diese Autorin das "info dropping". An völlig unpassenden und unlogischen Stellen wird dem Leser Augen- oder Haarfarbe der Prota untergemogelt und lauter solche Sachen.

Die meisten Leser merken sowas nicht, das stimmt. Ist es deshalb "guter Stil"? Oder piepegal?

Das Gesamtwerk wirkt auf den Leser, auf unbewusster Ebene.

Wir erzeugen Bilder beim Schreiben. Erzeugen wir zu viele Bilder, kommt der Leser aus dem Lesefluß, und das stört ihn, auch wenn er es nicht benennen kann.

Wenn ich beim Lesen im Geist bei einer Figur bin und bekomme jeden 2. Satz die Innenansicht von weiteren Personen präsentiert, kann ich bei keinem richtig mitfühlen. Jede Figur hat ja ihre Eigenarten, ihren Charakter. Ich möchte mich auf einen "einlassen" können, und nicht gleich auf 5!

Wenn ich sowas lese, distanziere ich mich automatisch von den Figuren und lese das Ganze wie einen Bericht, erlebe es nicht mehr mit.

Das passiert mir auch bei Nora Roberts, weshalb ich sie nicht mehr lese.

Ich möchte ganz nah an den Figuren sein. Das kann ich nur, wenn sie mir nicht alle auf einmal im Kopf rumgeistern.

 

LG

Martina

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Das Gesamtwerk wirkt auf den Leser' date=' auf unbewusster Ebene.[/quote']In der Tat - aber gerade in Bezug auf diesen Punkt habe ich im Laufe der Jahre festgestellt, dass dieser Gesamteindruck recht wenig mit der formalen Beständigkeit der Perspektive zu tun hat. Ich habe da selbst in der praktischen Lektoratsarbeit einige Gänge zurückgeschaltet, nachdem ich von der Uni kommend den Kopf noch recht voll hatte mit formalem Denken ... und mir dann allmählich aufgefallen ist, dass eigentlich bei allen Publikumserfolgen, die ich in der Praxis zu sehen bekommen habe, und auch bei literarisch hochgelobten Werken die Perspektive eigentlich deutlich jenseits meiner Schmerzgrenze "gebrochen" wird. Und was, wenn nicht diese Erfolge, sollen Maßstab für die Gesamtwirkung auf unbewusster Ebene sein?

 Ich würde also die These als beobachtungsadäquat empfinden, dass Brüche in der Perspektive dann eine schädliche Wirkung auf das Gesamtempfinden entwickeln, wenn sie sprunghaft und willkürlich stattfinden - und dass umgekehrt Perspektivtreue mindestens ebenso sehr dem Gesamtbild schadet, wenn sie rein formalistisch betrieben wird und der Autor zulässt, dass er Szenen oder auch nur Sätze nicht auf die dramaturgisch wirksamste Weise erzählt, nur um die Perspektive einzuhalten.

Da den richtigen Mittelweg zu finden, ist natürlich schwieriger als stur nach Regel zu schreiben. Aber das ist es ja eigentlich immer :-/

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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und dass umgekehrt Perspektivtreue mindestens ebenso sehr dem Gesamtbild schadet' date=' wenn sie rein formalistisch betrieben wird und der Autor zulässt, dass er Szenen oder auch nur Sätze nicht auf die dramaturgisch wirksamste Weise erzählt, nur um die Perspektive einzuhalten.[/quote']

 

Man kann ja mit einer Leerzeile trennen. Natürlich auch nicht immer. Manchmal ist ja der Kapitelwechsel das Mittel der Wahl.

 

Ich empfinde es jedenfalls eher so, dass eine strenge Trennung der Dramaturgie eher nützt. Und die Wechsel mittendrin eher schaden.

 

Sabine

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Richtig, es immer eine Frage, ob man weiß, was man tut oder ob man einfach unreflektiert herumspringt.

 

Es gibt ja kein Verbot des Perspektivewechsels. Aber auch kein Heiligsprechen desselben.

 

Wer's kann, wird den Wechsel geschickt einsetzen, wer es nicht kann, schlampt. Weshalb es nicht völlig sinnlos ist, sich immer mal wieder seine Erzählperspektive bewusst zu machen.

 

Das aber heißt, dass man überhaupt weiß, worum es sich dabei handelt. Ich habe sogar auch schon LektorInnen erlebt, für die Perspektive ein Fremdwort war. Und das finde ich dann doch - irritierend.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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